Verlorene Mittelklasse, verlorenes Vertrauen, verlorener Schwung – Nur die verdammte Krise will nicht verschwinden

Verlorene Mittelklasse, verlorenes Vertrauen, verlorener Schwung – Nur die verdammte Krise will nicht verschwinden

Der jüngste Schocker kam gestern Abend aus China – wieder einmal, muss man inzwischen sagen. Der Einkaufsmanager-Index der HSBC, weithin ernster genommen als das entsprechende offizielle Barometer aus Peking, kracht im laufenden Monat auf das 9-Monatstief von 47,8 Zählern. Im Vormonat war der Wert 49,3 gewesen.

Das ist jetzt solide unterhalb der Marke von 50, die eine schrumpfende Wirtschaft signalisiert. Schlimmer noch: Alle 11 Sub-Indizes zeigen nach Süden und verheißen damit anhaltende Schwäche.

Man möchte meinen, dass selbst die offizielle Zahl vor diesem Hintergrund nicht mehr über die 50er-Linie massiert werden kann. Warten wir es ab. Sehr bedenklich vor allem: Die Auftragseingänge der Exportwirtschaft krachen auf 44,7 nach unten, tiefster Stand seit März 2009.

Grafiken aus der Studie des Pew Research Center:

Kurz zuvor hatten Japans Exporte den schwersten Rückschlag seit sechs Monaten erlebt. Das Minus von 8,1% im Juli war mehr als drei Mal so groß wie im Schnitt der Analysten vorhergesagt. Wichtigster Grund für den Exportinfarkt: Die Rezession in Europa und das dümpelnde China, wo es jetzt fast täglich dicker kommt.

Die brisante Parallele zu dem China-PMI: Der Einbruch der Japanexporte von 25,1% in Richtung Europa ist ebenfalls der schwächste Wert seit 2009. Die große Angst jetzt in Tokyo und anderswo: Die Erholung der Ausfuhren des Landes könnte so spät einsetzen, dass der heimische Nachfrageschub vom Wiederaufbau schon ausgelaufen ist.

Hier beginnt jetzt wie überall sonst auf dem Planeten ein Wettlauf gegen die Zeit.

In China muss es der KP gelingen, nicht nur den heimischen Konsum stärker anzukurbeln bevor die Bremsspuren im Export zu größerem Unheil führen. Die Führung in Peking muss auch noch eine delikate Gratwanderung schaffen: Die Konjunktur mit Investitionen ankurbeln, ohne die Blase im Immobiliensektor erneut problematisch anzufachen – und die Blase schlechter Kredite im Bankensystem dazu.

In Europa besteht der Wettlauf gegen die Zeit darin, die Konjunktur bei großen Sparprogrammen möglichst schnell wieder zum Laufen zu bringen, um noch aus den Schulden herauswachsen zu können, wobei entweder die Anleihe-Renditen wieder steigen, weil das nicht schnell genug gelingt, oder der wachsende Widerstand der Öffentlichkeit – und der politischen Opposition – in den Geberländern die Politik endgültig lähmt.

Im Falle Berlins heißt das: Was platzt zuerst, die Koalition, oder der Euro? Die beiden Optionen zeigen, wie ernst die Lage ist.

Ach ja, die USA: Hier hat der Wettlauf schon längst begonnen, er verläuft sogar zweispurig: Dringend benötigt wird ein Sparpakt zwischen Republikanern und Demokraten, der schnell genug eingetütet wird, um einem Angriff der Bond-Geier auf den US-Anleihemarkt zuvor zu kommen. Und außerdem eine Einigung die auch rechtzeitig kommt, um die Anfang 2013 automatisch greifenden Steuererhöhungen + Ausgabenkürzungen im US-Haushalt zu vermeiden. Das ist das, was in den USA als fiskalisches Kliff bezeichnet wird.

Es ist derzeit die wirtschaftspolitische Variante des Bermuda-Dreiecks.

Zu den USA und ihrer verlorenen Mittelklasse: Das Pew Research Center berichtete gestern vom verlorenen Jahrzehnt der USA, und dem Abgesang der Mittelschicht im Land. Hier ein Zitat aus der Huffington Post, die sich den Bericht vorgenommen hat:

The report suggests that five years after the financial collapse, middle-class Americans have yet to fully recover, and many think it will be years before they do. Of those middle-class households who said they’re worse off since the recession, 51 percent said they won’t recover for at least five years and 8 percent said they never will. And 85 percent of people who described themselves as middle class said it’s harder to maintain a middle-class standard of living now than it was a decade ago.

Und im Euroland ? Während alle Augen auf Antonis Samaras gerichtet sind, schlittert Italien näher an den Abgrund. Der Analyst James Nixon bei der Societe Generale hat jetzt Alarm geschlagen (und er ist beileibe nicht der erste, der das tut).

Seine wichtigsten Punkte: Die Regierung forciert die Sparpolitik, um die Schulden in den Griff zu bekommen. In Kombination mit dem aktuellen Kreditinfrakt schwächt die Austerität empfindlich die Konjunktur. Nixon sagt ein Minus beim BIP im laufenden Jahr von 2,3% vorher, und 1,4% im kommenden Jahr. Für 2014 wird immer noch Stagnation erwartet. Der IWF rechnet längerfristig nur mit 0,5% BIP-Zuwachs in Italien.

Für den Schuldendienst reicht das nicht, wenn der Schuldenberg nicht weiter anwachsen soll. Gleichzeitig nagt die steigende Arbeitslosigkeit am Vertrauen der Konsumenten und schadet dem privaten Verbrauch. Schließlich: Die Regierung hebt Steuern auf Konsum und Immobilien an. Beide Sektoren werden jedoch schon von hoher Arbeitslosigkeit und schwacher Kreditvergabe in die Mangel genommen.

Die anscheinend größte Sorge des Bankers: Die Kosten für den Schuldendienst dürften so schnell anwachsen, dass die gesamten Sparbemühungen für das kommende Jahr zunichte gemacht werden.

Analyse von Markus Gaertner – Wirtschafts-Journalismus vom Feinsten (!)