Das ambitionierte Reformprogramm des ‚Rottamatore‘

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Matteo Renzi bei der Bekanntgabe seines Kabinetts am 21. Februar 2014
CC – Author: Presidenza della Repubblica

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Anlässlich seines Staatsbesuches in Berlin wurde Matteo Renzi mit dem Segen der Kanzlerin, die ihm

‚vollstes Vertrauen und Bewunderung für sein ambitioniertes Reformprogramm‘

zollte, in die glorreiche €-Tafelrunde aufgenommen:

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Seinen Spitznamen ‚Il Rottamatore‘ (italienisch rottamare ‚verschrotten‘) beruht auf seinem Ruf, dass er das gesamte italienische politische Establishment, das in großen Teilen der italienischen Öffentlichkeit als diskreditiert, korrumpiert und gescheitert gilt, abwickeln möchte.

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Da er, kaum zurück, etwas nassforsch das im Rahmen des Sixpack vereinbarten Haushaltsdefizitgrenze (3% zum BIP) sinngemäß als ‚anachronistisches Gedankenmodell‘ bezeichnete, könnten böse Zungen daraus den Rückschluss ziehen, dass Renzi das Reformpaket des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ebenfalls verschrotten möchte.

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Mit der Forderung EU-Mittel für Strukturreformen NICHT in den „normalen Haushalt“ mit einzubeziehen wurde sogleich ein kreativer Bewertungsansatz aus dem Hut gezogen, welcher in der Realwirtschaft vermutlich sofort den Staatsanwalt mir dem Vorwurf der Bilanzfälschung auf den Plan rufen würde!

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Jetzt wollen wir aber mit dem neuen Regierungschef nicht allzu scharf ins Gericht gehen und einfach mal annehmen, dass er die erwarteten EU-Mittel u.a. dafür einsetzen möchte, um das Versprechen von schon drei Regierungen vor ihm, die offenen Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand gegenüber italienischen Wirtschaftsunternehmen in Höhe von € 120 Mrd. endlich auszugleichen.
Sollte dieser ‚gutgemeinte und zugleich äusserst fragwürdige‘ Trick ggfls. an neuen Mehrheitsverhältnissen im EU-Parlament scheitern, wird man eben flugs eine neue Art von Kaninchen züchten müssen, die man zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Zylinder zaubern kann.

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Gerade in Italien, aber auch elsewhere, könnte sich die immer wieder gern genommene Verlagerung offensichtlicher Staatsschulden auf ohnehin unsaubere Kommunalhaushalte anbieten. Wie Herr Renzi am Beispiel des desolaten finanziellen Zustandes in Rom miterleben durfte, können sich solche Strategien auch kontroproduktiv auswirken.
Last but not least könnten aber auch aus den Schubladen des  EU-Kommissars für Beschäftigung, Soziales und Integration, László Andor, die (noch) umstrittenen Pläne zur Vereinheitlichung von Sozialstandards hervorgeholt  werden, welche sich bei den politischen Casino-Betreibern, speziell in Italien und Frankreich, großer Beliebtheit erfreuen.
Ein Schelm, wer dabei an getarnte Euro-Bonds denkt?

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In den Werkzeugkästen politisch korrekt operierender Ökonomen scheint so manches Analysewerkzeug entweder gänzlich zu fehlen oder bei der Beratung politischer Vabanque-Spieler schlichtweg nicht angewandt zu werden.
Eine dieser Analyse-Methoden wurde von dem 1970 verstorbenen ungarischen Ökonomen Melchior Palyi entwickelt. Dabei handelt es sich um einen Schuldenindikator, der in der ökonomischen Literatur selten Erwähnung findet.
Darunter ist eine knappe Gleichung zu verstehen, die nur zwei Größen enthält:
Die Änderung des Bruttosozialprodukts ∆BSP und die Änderung der Schulden ∆S, wobei es sich bekanntermaßen nicht um statische, sondern dynamische Größen handelt:

P = ( ∆BSP / ∆S ) – 1

Diese Gleichung zeigt, dass ein schuldenbasiertes Geldsystem auf Dauer nicht überlebensfähig ist. Der Nenner ∆S steigt durch den Zinseszinseffekt exponentiell, der Zähler ∆BSP aber nicht. Übersteigt die Verschuldung ein gewisses Maß, so wird der P– Wert negativ und damit das System selbstzerstörend.

Da man solche und ähnliche Hilfsmittel erfolgreich negiert, können die Verschuldungs-Metastasen auch weiterhin fröhlich vor sich hin wuchern und schlimmstenfalls einen kompletten Kontinent ruinieren. Davon profitierende Puppenspieler mit hegemonialen Machtinteressen dürfte dies kaum kümmern!

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Wohl wissend, das vor dem Paradiso die Terrassen des Läuterungsberges stehen, dürfen wir gespannt sein, welcher Teil von Dantes ‚Göttlicher Komödie‚ als nächstes aufgeführt wird.

Carpe diem!

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Ihr Oeconomicus


Umgang mit der Schuldenkrise Griechenlands und anderer Länder der Eurozone

Umgang mit der Schuldenkrise Griechenlands und anderer Länder der Eurozone
Deutscher Bundestag Drucksache 17/949 – 17. Wahlperiode 04. 03. 2010
Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 2. März 2010 übermittelt.
Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/723 –
Vorbemerkung der Fragesteller
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion sind an die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts gebunden. Demnach darf die Neuverschuldung eines Staates maximal 3 Prozent und der Gesamtschuldenstand maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Mit einer Neuverschuldung von gegenwärtig 12,7 Prozent und einer Gesamtverschuldung von rund 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts droht Griechenland der Staatsbankrott.
Die Auswirkungen einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands wären nicht nur für das Land selbst gravierend. Bereits jetzt drohen durch die eingeleiteten Sparmaßnahmen soziale Verwerfungen, die Ausgrenzung ärmerer Bevölkerungsschichten sowie starke Einschnitte in zukunftsweisenden Bereichen. Aufgrund der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion wären auch weitere Länder der EU und insbesondere der Eurozone betroffen. Schon jetzt weisen Irland, Spanien und Portugal eine ähnlich besorgniserregende Entwicklung auf.
Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Wochen zahlreiche Szenarien diskutiert und Lösungswege für die derzeitige fiskalische Krise Griechenlands skizziert. Am 3. Februar 2010 hat die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket mit einer Reihe von Empfehlungen an Griechenland angenommen. Das Paket soll am 16. Februar 2010 auf der Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen von den 27 Finanzministerinnen und Finanzministern der EU-Mitgliedstaaten verabschiedet werden. Darin sind strenge Kontrollen der griechischen Regierung bei der Umsetzung ihres Stabilitätsprogramms durch die Europäische Kommission vorgesehen. Mit Hilfe des Stabilitätsprogramms will die griechische Regierung Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen durchsetzen, mit denen die Neuverschuldung bis Ende 2012 auf unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden soll.
Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union schließt eine Übernahme bzw. Haftung für die Schulden eines EU-Mitgliedstaats durch einen anderen EU-Mitgliedstaat oder die Europäische Union („No-Bail-Out“-Klausel) aus. Dennoch werden laut Presseberichten bereits inoffiziell sogenannte Notfallpläne diskutiert, die eine Teilübernahme der Schulden durch andere EU-Staaten vorsehen. Ebenso werden gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten, ein Einschreiten von EZB oder IWF bis hin zum Austritt Griechenlands aus der Währungsunion diskutiert.
Die Bundesregierung verhält sich bisher zurückhaltend und setzt in öffentlichen Äußerungen auf die eigene Kraft Griechenlands, den drohenden Staats- bankrott abzuwenden. Pressemeldungen zufolge finden jedoch innerhalb der Bundesregierung bereits Überlegungen bezüglich konkreter Hilfspläne für vom Staatsbankrott bedrohte Staaten der Eurozone statt. Detaillierte Vorschläge für mögliche Lösungsstrategien unterbreitet die Bundesregierung nicht sowie sie ebenfalls keine öffentliche Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion führt.
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Deutscher Bundestag