Wie Sprache Entscheidungen (vor)prägt: Zum Einfluss und zur Rhetorik kollektiver Selbsttäuschungen
Veröffentlicht: 22. Juli 2014 | Autor: Oeconomicus | Abgelegt unter: Buch-Tipps & Literatur-Empfehlungen, Dietrich Dörner: Die Logik des Mißlingens, Manipulation | Tags: kognitive Dissonanz, Metapher, Präzisionsparadoxon, Selbsttäuschung, Sinnerzeugungsmaschine, Täuschung, Teflonworte, Vergleichsfalle, Zirkelschlüsse | Hinterlasse einen KommentarWie Sprache Entscheidungen (vor)prägt:
Zum Einfluss und zur Rhetorik kollektiver Selbsttäuschungen
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Erkenntnisreicher Vortrag von Prof. Dr. Gerd Antos [Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg] zum Einfluss und zur Rhetorik kollektiver Selbsttäuschung.
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Auszug:
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„1989 erregte ein Buch mit dem provozierenden Titel „Die Logik des Mißlingens“ für nicht unbeträchtliches Aufsehen.
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Darin zeigte der Autor, der Kognitionspsychologe und Problemlöse-Theoretiker Dietrich Dörner u.a. am Beispiel eines imaginären „Tanalandes“ auf, was passiert, wenn wir -durchaus gut gemeint- ein Entwicklungsland entwickeln wollen:
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Um die kümmerlichen Viehherden in Steppengebieten, wie etwa der Sahelzone zu vergrößern, muß man ja, was richtig! tiefere Brunnen bohren und vor allem drastisch vergrößern.
Und zur Planung des wirtschaftlichen Fortschritts gehört auch:
Man muss die Kühe, von denen die Eingeborenen mehr schlecht als recht leben, gegen die tödliche Tsetsefliege impfen und zugleich neue Absatzmärkte für die florierende Viehzucht schaffen. Kurz, man muss alles tun, um die Überlebenschancen der Menschen zu verbessern..
Dörner zeigt nun in dem Computer-Experiment wohin Entscheidungen führen können, die sich unhinterfragt an unserem Wissen, unseren Werten und unserer Kultur orientieren. Denn die Resultate einer solch verstandenen Entwicklungshilfe lassen sich nicht nur in Computer-Simulationen studieren:
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Die überhöhte Entnahme von Wasser durch die neuen Brunnen führt in Gegenden wie der Sahelzone zur Absenkung des knappen Grundwassers.
Die Konsequenz: Man musste noch tiefere Brunnen bohren, was naheliegender Weise allerdings zu einer weiteren Absenkung des Grundwasserspiegels führt. Aus der Versteppung wurde nach und nach Wüste. Die sich vergrößernden und hungernden Herden fraßen den letzten Rest von Vegetation kahl.
Fazit: Nach einem in der Tat kurzfristig erfolgreichen, dann aber bald trügerischem Aufschwung war nach wenigen Jahren die Ökologie des Landstriches am Kollabieren. Hungersnöte breiteten sich aus und es erschallte wie zuvor der verzweifelte Ruf nach erneuter Entwicklungshilfe..
Dörner zeigt an solchen Planungs-, Problemlösungs- und Entscheidungsszenarien, wie die Komplexität sowie die Dynamik von Entwicklungen ihre eigene, oftmals verborgene „Logik“ des Mißlingens haben.
Er zeigte aber auch auf: Man kann die Logik dieses Mißlingens durchschauen, ihr konstruktiv begegnen und in künftige Entscheidungen mit einbeziehen..
In meinem Beitrag möchte ich auf einen Aspekt der „Logik des Mißlingens“ eingehen, der bei Dörner nur am Rande anklingt:
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Entscheidungen beruhen nicht nur auf sogenannten Fakten, sondern ganz entscheidend auch auf der Art und Weise ihrer Verbalisierung.
Anders formuliert: Sachinformationen beeinflussen je nach Art ihrer sprachlich kommunikativen Inszenierung nicht unwesentlich unsere Aufmerksamkeit, die Verarbeitung der Informationen und damit letztlich auch unsere darauf aufbauenden Entscheidungen!
Zwar haben wir gelernt, offenkundige rhetorische Manipulationen zu durchschauen. Aber was, wenn uns Wörter und Wendungen in Sicherheit wiegen, weil uns deren Attraktivität und Verlässlichkeit bekannt ist?
Was, wenn sie ganz selbstverständlich daherkommen und sogar zu unserem ganz alltäglich vertrautem Leit- und Lenkungsvokabular gehören?.
Solche uns lieb gewordenen Fahnenwörter sind zum Beispiel: Erfolg, Nutzen, Optimierung, Qualitätssicherung, aber auch Sparen, Kostensenkung, Leistungsfähigkeit oder Gewinnsteigerung und vieles mehr, was ich Ihnen noch zeigen werde.
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An diesen -wie ich sie nennen möchte- „Teflon-Wörter“ möchte ich zeigen: Bereits unsere Sprache beeinflusst Entscheidungen bis hin zu Formen „kollektiver Selbsttäuschungen“.
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Der Grund: Viele unserer zentralen Leit- und Lenkungsbegriffe „verzaubern uns“ in gewisser Weise, weil sie eine positive Aura verbreiten und daher eine kaum hinterfragte Selbstüberzeugungskraft ausstrahlen. Das hat zum Teil fatale Konsequenzen: Man kann in vielen Organisationen, Gesellschaften oder Diskursgemeinschaften zu bestimmten Zeiten zwar, aber immerhin, kaum gegen so etwas gegen solche Teflonwörter, wie etwa Sieg, Wachstum, Natur, Gott, sich mal etwas gönnen, oder bei Massenmedien: Quote.
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Zu diesen Teflonwörtern, wenn man sie dann etwas genauer untersucht, gehört aber auch ein Großteil unserer Fahnenwörter aus den Bereichen Emotion, Sozialprestige, Kunst, Kultur, Religion oder auch Konsum.
In meinem Beitrag will ich Sie in einem ersten Teil daher an sprachlich und rhetorische Zauberkunststücke, wenn Sie so wollen, erinnern die Sie mehr oder weniger alle kennen..
In einem zweiten Teil möchte ich dann zeigen, dass wir unter anderem durch den Gebrauch von gleichsam sich selbst überzeugenden Teflonwörtern uns kollektiv selber täuschen können, nicht müssen.
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Mehr noch: wie wir uns nicht nur bei Entscheidungen sehr schnell sogar selbst zum, wie es so schön heißt, Opfer unserer eigenen Propaganda machen können.
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Zum Schluss möchte ich noch an einem aktuellen Beispiel zeigen, wie sprachlich bedingte Selbsttäuschungen salonfähig gemacht werden können. Im Mittelpunkt dazu steht die in der Publizistik gegenwärtig proklamierte These, „Wer sich betrügt hat mehr Erfolg.“
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Es geht mir also als Linguist um die sogenannte -wie das so schön heißt- Macht und Magie der Sprache, der wir individuell wie kollektiv leider oftmals auch bei Planungs-, Entscheidungs-, Lenkungs- und Bewertungsaufgaben erliegen können.
[…]“
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Gute Unterhaltung beim Erklimmen denkbarer neuer Lernkurven.
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herzlichst
Ihr Oeconomicus
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vertiefende Ergänzungen
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