Konjunktur: Wie Regierungen ihre Prognosen frisieren

Konjunktur: Wie Regierungen ihre Prognosen frisieren

 

Regierungen rund um den Globus färben ihre Vorhersagen zu Wachstum und Staatsfinanzen systematisch schön, zeigt eine neue Studie. Der Stabilitätspakt hat in Europa alles nur noch schlimmer gemacht. Aber es gibt einen Ausweg.
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In einer Ende Juli veröffentlichten Studie weist der Harvard-Professor Jeffrey Frankel jetzt nach: Rund um den Globus bauen Regierungen bei ihren Konjunkturprognosen in schöner Regelmäßigkeit Potemkin’sche Dörfer.

Der Ökonom hat für 33 Staaten und die Jahre 1999 bis 2006 die Regierungsprognosen zur Entwicklung von BIP und Staatsfinanzen mit der Wirklichkeit verglichen.
Sein Ergebnis ist klar: Regierungsamtliche Schönfärberei hat System. Sie verschätzen sich regelmäßig, und stets in die gleiche Richtung – nach oben. Die tatsächliche Entwicklung von Wachstum und Steuereinnahmen bleibt in aller Regel deutlich hinter den Erwartungen zurück.

„Der überzogene Optimismus führt dazu, dass Regierungen im Aufschwung zu wenig sparen“, schreibt Frankel in seiner Arbeit mit dem Titel
„Over-optimism in Forecasts by Official Budget Agencies and Its Implications“.

Jeffrey A. Frankel

NBER Working Paper No. 17239
Issued in July 2011
NBER Program(s):   IFM

The paper studies forecasts of real growth rates and budget balances made by official government agencies among 33 countries. In general, the forecasts are found:

(i) to have a positive average bias,

(ii) to be more biased in booms,

(iii) to be even more biased at the 3-year horizon than at shorter horizons. This over-optimism in official forecasts can help explain excessive budget deficits, especially the failure to run surpluses during periods of high output: if a boom is forecasted to last indefinitely, retrenchment is treated as unnecessary. Many believe that better fiscal policy can be obtained by means of rules such as ceilings for the deficit or, better yet, the structural deficit. But we also find:

(iv) countries subject to a budget rule, in the form of euroland’s Stability and Growth Path, make official forecasts of growth and budget deficits that are even more biased and more correlated with booms than do other countries. This effect may help explain frequent violations of the SGP. One country, Chile, has managed to overcome governments’ tendency to satisfy fiscal targets by wishful thinking rather than by action. As a result of budget institutions created in 2000, Chile’s official forecasts of growth and the budget have not been overly optimistic, even in booms. Unlike many countries in the North, Chile took advantage of the 2002-07 expansion to run budget surpluses, and so was able to ease in the 2008-09 recession.

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Zu optimistische Wachstumsprognosen erlauben es Regierungen daher, unangenehmen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen und im Stillen Fakten zu schaffen. Die Politiker brauchen nicht die Steuern zu erhöhen oder die Staatsausgaben zu senken, und sie können Debatten über höhere Staatsschulden zumindest zeitweise vermeiden.
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Erstaunlich ist zudem: Feste Haushaltsregeln wie der Stabilitätspakt, die der unbegrenzten Neuverschuldung von Regierungen einen Riegel vorschieben sollen, verstärken den Hang zur Schönfärberei.
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Allerdings gibt es laut Studie einen vergleichsweise einfachen Weg, um regierungsamtliches Tuning von Wachstumsprognosen zu stoppen: Ähnlich wie die Geldpolitik muss man das Erstellen der Wachstumsprognosen in unabhängige Hände legen.

Handelsblatt – 01.08.2011, 00:00 Uhr