Verfassungsbeschwerden und Organstreitverfahren gegen ESM und Fiskalpakt erfolglos

Spannender Vormittag beim BVerfG, insbesondere die Gespräche vor und nach der Entscheidung mit einigen Verfahrensbeteiligten und Prozess-Beobachtern.

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Urteil und Begründung liegen vor .. zwischenzeitlich auch online in deutscher und englischer Sprache abrufbar.

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Wer die Berichterstattung nicht verfolgen konnte, wird hier fündig:

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Anmerkungen

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In der Urteilsbegründung wird insbesondere die Haltung des BVerfG zum uneingeschränkten Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages verdeutlicht:

„… Käme es zu einer Aussetzung der Stimmrechte der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 4 Abs. 8 Satz 1 ESMV, liefe die innerstaatlich vorgesehene Beteiligung des Bundestages an den Entscheidungen der ESM-Organe für die Dauer der Stimmrechtsaussetzung leer. Damit entfiele aus deutscher Sicht zugleich die demokratische Legitimation und Kontrolle der in diesem Zeitraum getroffenen Entscheidungen, und zwar unabhängig davon, welche Abstimmungsregeln der Vertrag für die konkret zu treffenden Entscheidungen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren und daher grundsätzlich seiner Mitwirkung bedürfen.“

„Um eine Aussetzung der Stimmrechte zu vermeiden, hat der Bundestag daher nicht nur den auf die Bundesrepublik Deutschland entfallenden, in Art. 8 Abs.2 Satz 2 ESMV geregelten Anteil am anfänglich einzuzahlenden Kapital im Haushalt bereitzustellen, sondern im gebotenen Umfang auch durchgehend sicherzustellen, dass die weiteren auf Deutschland entfallenden Anteile am genehmigten Stammkapital nach Art, 8 Abs.1 ESMV im Fall von Abrufen nach Art. 9 ESMV … jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können…
Entscheidend ist allein, ob die Bundesrepublik Deutschland eine geforderte Zahlung im gebotenen Umfang und Zeitrahmen tatsächlich vornehmen kann und von Verfassungs wegen vornehmen darf.

Ersteres ist eine Frage der Liquidität. Hierzu hat der Deutsche Bundestag durch seine Verfahrensbevollmächtigten erklärt, das Liquiditätasmanagement der „Finanzagentur GmbH“ sei hinreichend „umsichtig und leistungsfähig“, um fristgerechte Einzahlungen zu gewährleisten; diese tatsächliche Einschätzung ist vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen.
Letzteres ist eine Frage der Vereinbarkeit fristgerechter und vollständiger Zahlung mit den haushaltsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes.“

„Nach Art. 110 Abs. 1 GG müssen alle zu erwartenden Ausgaben und Einnahmen des Bundes in den Haushaltsplan eingestellt werden. Der Haushaltsplan, der nach Art. 110 Abs. 2. Satz 1 GG durch Haushaltsgesetz festgestellt wird, ist Wirtschaftsplan und zugleich staatsleitender Hoheitsakt in Gesetzesform. Er erfüllt eine demokratische Legitimations- und Kontrollfunktion im Hinblick auf sämtliche Einnahmen und Ausgaben des Staates und dient zugleich auch der Information der Öffentlichkeit.
Vor diesem Hintergrund ist das Budgetrecht eines der wichtigsten Rechte des Parlaments und ein wesentlichen Instrument der parlamentarischen Regierungskontrolle.
Der besondere Gesetzesvorbehalt des Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet das Parlament dazu, sowohl sich selbst als auch der Öffentlichkeit Rechenschaft über die Einnahmen und Ausgaben des Staates abzulegen. Nicht zuletzt deshalb wird die parlamentarische Aussprache über den Haushalt -einschließlich des Maßes der Verschuldung- als politische Generaldebatte verstanden.
Erweisen sich die vorhandenen Haushaltsansätze im Laufe des jeweiligen Haushaltsjahres als zu gering oder ergeben sich sachliche Bedürfnisse, die das Haushaltsgesetz nicht berücksichtigt hat, besteht für die Bundesregierung die verfassungsrechtliche Pflicht, eine Änderungsvorlage zum Haushaltsplan (Nachtraghaushalt) nach Maßgabe des Art. 100 Abs. 3 GG einzubringen, um die Vollständigkeit des Haushaltsplanes zu gewährleisten
[…]“

[Urteilsbegründung 199 uff ab Seite 93]

Vor diesem Hintergrund sollten Herrn Dr. Schäuble hinsichtlich seines Postulats von einem ausgeglichenen Haushalt für 2014 die Ohren klingeln!
Trotz der Sorge um die Folgen für diesen Persilschein des BVerfGes gilt es festzuhalten:
auch die Mehrheitsverhältnisse der GroKo werden nicht verhindern können, dass weitere deutsche Verpflichtungen zu Gunsten des ESM in aller Stille durchgezogen werden können. Somit dürfte es auch der Kanzlerin sehr viel schwerer fallen, einer Re-Kapitalisierung angeschlagener europäischer Banken via ESM, das Wort zu reden.
Aber auch sonst wird die Öffentlichkeit mit Argusaugen etwaige Kapitalzusagen aus Berlin, z.B. im Rahmen von Banken-Union, Euro-Bonds oder gar Finanzhilfen für die Ukraine, beobachten und ggfls. erneut das BVerfG anrufen!

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Ihr Oeconomicus

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erste Reaktionen:

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Lammert begrüßt Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Zur aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe erklärt Bundestagspräsident Norbert Lammert:

„Mit der Abweisung der Klagen gegen den ESM und den Fiskalvertrag betont und stärkt das Bundesverfassungsgericht den politischen Einschätzungsspielraum des Bundestages gerade auch bei Maßnahmen der Euro-Rettung. Die heutige Entscheidung ist eine Bestätigung der Budgethoheit des Gesetzgebers bei allen Entscheidungen zum ESM. Das Gericht stellt klar, dass die Haushaltsautonomie des Parlaments hinreichend gewahrt ist.

Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Diskussion um die richtige Balance der Zuständigkeiten von Legislative, Exekutive und Judikative erkennt das Bundesverfassungsgericht die besondere Einschätzungsprärogative des Bundestages an. Die Zurückhaltung des Gerichts in der politischen Einschätzung der jeweils vereinbarten Maßnahmen und seinen Respekt vor der Rolle des Parlaments begrüße ich ausdrücklich.

Das Gericht hatte schon bei der damaligen Eilentscheidung betont, dass vor allem der Deutsche Bundestag dazu berufen ist, politische Entscheidungen zu treffen, weil es als einziges Verfassungsorgan unmittelbar gewählt wird und deswegen über eine besonders starke Legitimation verfügt. Gerade im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Währungskrise hat das Bundesverfassungsgericht die besondere Verantwortung des Deutschen Bundestages erneut deutlich gemacht und gestärkt.“
Quelle: Pressemitteilung – Deutscher Bundestag

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Einschätzungen und Kommentare des Mainstreams

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Karlsruhe weist Klagen gegen ESM ab
rp-online

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Gauweiler: „Haben Euro-Rettern Grenzen gesetzt“
FAZ

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Karlsruhe gibt grünes Licht für Euro-Rettung
[…]
Mit dem Urteil bestätigten die Richter ihre Entscheidung vom September 2012.
Allerdings gab Karlsruhe der Bundesregierung auf, künftig in Prognosen für das kommende Haushaltsjahr abzuschätzen, ob der ESM über die bereits geleisteten Einzahlungen von 22 Milliarden Euro hinaus mit weiterem Geld aus Deutschland bedient werden muss. Diese Risiken müssten dann in den nächsten Haushalt eingestellt werden. Die Gelder über Nachtragshaushalte oder gar über das Nothaushaltsrecht freizumachen, was die Bundesregierung zunächst beabsichtigt hatte, sei demnach unzulässig – immerhin eine Einschränkung zum völlig freien Zugriff auf den Haushalt.
[…]
WiWo

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Kläger verbuchen ESM-Entscheidung als Erfolg
Die Richter in Karlsruhe machen den Weg endgültig für den Euro-Rettungsschirm ESM frei. Die Kläger sind zwar enttäuscht. Dennoch werten sie ihre Klage als Erfolg.
[…]
focus

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Bewertungen von unabhängigen Kommentatoren

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IFO Institut bedauert Urteil zum ESM
Der Präsident des ifo Instituts, Prof. Hans-Werner Sinn, hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm ESM bedauert.

„Das Gericht setzt die Latte für eine Verfassungswidrigkeit zu hoch an. Sie wird erst dann angenommen, wenn das Haushaltrecht des Bundestages vollständig leerläuft“

sagte Sinn am Dienstag in Karlsruhe. Immerhin müsse das Bundesfinanzministerium nun aber Einzahlungen in den ESM vorab in den Haushalt einstellen und dürfe dies nicht im Jahresverlauf per Nachtrags- oder Nothaushalt regeln.
[…]
aktien-portal

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Urteil zu den ESM-Klagen.
In aller Kürze zusammengefasst lautet es: Alle Klagen werden verworfen und zurückgewiesen.
oder:

„Die EU, die EU, die hat immer Recht!“

Viel anderes war nicht zu erwarten gewesen.
[…]
Egon W. Kreutzer

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Deutschland: Das totale Organversagen – Am Ende eines Rechtsstaates
Nachdem ich der Wut etwas Raum gegeben habe, ist nun die Trauer eingezogen. Am heutigen Tage hat die letzte Bastion des Rechtsstaates versagt und die kommenden Generationen und die Nation an das Finanzwesen verhökert. Ob es den anwesenden Richtern wohl klar war? Wenn nicht, hätten diese nicht mal den Stuhl in einem Amtsgericht verdient, als Schöffe. Rein aus meiner Perspektive müsste ich eine Dankeskarte nach Karlsruhe schicken, mit Blick auf diese Nation jedoch bleibt mir nur mehr Verachtung.
[…]
Jens Blecker – iknews

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vertiefende Informationen

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Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013
PDF – [2998 Seiten]

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Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2013 (Nachtragshaushaltsgesetz 2013)
PDF – [64 Seiten]


BVerfG: mündliche Verhandlung im Hauptsacheverfahren ESM/EZB vom 11. und 12. Juni 2013

Verantwortung der Staaten und Notenbanken in der Euro-Krise

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Temporärer Dienstsitz des Bundesverfassugserichts bis 2014 / Quelle: Wikipedia/Matthias Cantow

Temporärer Dienstsitz des BVerfG bis 2014 / Quelle: Wiki/Matthias Cantow
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Als einer der Sachverständigen im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nahm Prof. Hans-Werner Sinn zu den Klagen gegen den Ankauf der Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank Stellung. Der Präsident des ifo Instituts beschrieb die Regulierungsfehler, durch die die südeuropäischen Länder ungehindert in eine immer größere private und öffentliche inflationäre Kreditblase geraten konnten, die sie ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubte, und dokumentierte das Ausmaß der inzwischen zur Verfügung gestellten Hilfskredite.
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Etwa zwei Drittel dieser Kredite wurden durch die EZB gewährt, nur ein Drittel floss unter der Kontrolle der Parlamente.
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In seinem Gutachten stellt Sinn die Grundlage der angekündigten Käufe von Staatspapieren im Rahmen des OMT-Programms der EZB sowie die der SMSF des Rettungsfonds ESM in Frage. Da die beiden Instrumente offenbar genau dasselbe tun, besteht der Verdacht, dass entweder die EZB ihre Kompetenzen überschreitet, indem sie Fiskalpolitik betreibt, oder der ESM, indem er Geldpolitik durchführt. Prof. Sinn setzt sich außerdem kritisch mit der ökonomischen Begründung der EZB für die Durchführung des OMT-Programms auseinander. Die EZB spricht von einer Dysfunktionalität der Märkte, die sich in der starken Ausspreizung der Zinsen niederschlage und bezeichnet es als Aufgabe des OMT-Programms, durch Marktinterventionen die Zinsspreizung zu reduzieren. Hingegen weist Prof. Sinn auf die marktwirtschaftliche Bedeutung der Zinsspreizungen hin, die die unterschiedlichen Risiken der Investitionen abbilden.
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Am Ende des Gutachtens findet sich eine Kurzzusammenfassung in Thesenform.
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Quelle: Pressemitteilung: CesIfo
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Sinn-Juni2013-EZB-Kurs
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Auszug – Gliederung

1. Regulatorische Gründe für die Krise
2. Refinanzierungskredite und Target-Salden
2.1 Die Target-Salden
2.2 Target-Salden und offene Rettungskredite
2.3 Die Absenkung der Sicherheitsstandards für die Besicherung der Refinanzierungskredite
2.4 Mittelbare Staatsfinanzierung durch Refinanzierungskredite an die Banken
3. Staatspapierkäufe der EZB und offizielle Rettungsprogramme
3.1 Von der mittelbaren zur unmittelbaren Staatsfinanzierung: Das SMP-Programm
3.2 Die Rettungsschirme der Staatengemeinschaft: EFSF, ESM & Co.
3.3 Geldpolitik oder Fiskalpolitik: ESM, SMP und OMT
4. Die Risiken und Kosten der EZB-Politik
4.1 Die mögliche Haftung aus dem OMT-Programm
4.2 Risiken aus Refinanzierungskrediten
4.3 Target-Verluste bei einem Austritt und Konkurs, doch Fortexistenz des Euro
4.4 Target-Verluste bei einem Untergang des Euro oder einem deutschen Austritt
4.5 Verlagerung der Wachstumskräfte durch kostenlosen Versicherungsschutz
4.6 Die Pfadabhängigkeit der Politik
4.7 Schleichende Enteignung der Sparer
5. Ökonomische Bewertung der EZB-Politik
6. Politikmaßnahmen gegen Zinsspreizungen: Die Begründungen der EZB
6.1 Die ökonomische Bedeutung von Zinsspreizungen
6.2 Diskussion der Argumente der EZB
7. Zusammenfassung in Thesenform

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Prof. Sinn: „Der Euro ist kaputt“

Hans-Werner Sinn im n-tv Interview:
„Der Euro ist kaputt“
Hans-Werner Sinn sorgt mal wieder für Furore. In Berlin stellt der streitbare Ifo-Präsident sein neues Buch zur Eurokrise vor. Mit n-tv spricht Sinn über den Euro, wie er gerettet werden kann und warum es notwenig ist, dass Griechenland temporär aus der Eurozone austritt.
teleboerse – Video [4:24 Min]

„Das Euro-Urteil – ein guter Tag für Deutschland?“

Talkrunde bei Anne Will vom 12.09.2013

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Das Bundesverfassungsgericht hat sein Urteil zum Euro-Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt verkündet. Am Abend der Entscheidung diskutiert Anne Will mit ihren Gästen über die Folgen des Richterspruchs.
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Gäste: Ursula von der Leyen, Gregor Gysi, Herta Däubler-Gmelin, Heiner Bremer, Hans-Werner Sinn
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Wenig Hoffnung für Krisenländer

Wenig Hoffnung für Krisenländer – Ifo prognostiziert nichts Gutes

Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Zypern: Diese Länder befinden sich nach Angaben des Ifo-Instituts weiter auf Rezessionsniveau. Insgesamt wird sich das Eurozonen-Wirtschaftsklima in diesem Jahr nicht mehr grundlegend verbessern.

„Es wird nicht mehr damit gerechnet, dass sich die Wirtschaft in den kommenden sechs Monaten erholt“, sagte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Sowohl die Einschätzung der aktuellen Lage als auch die Erwartungen hätten stark nachgegeben. „Die wieder aufflammende Schuldenkrise setzt der Konjunktur im Euroraum zu.“

teleboerse – 09.08.2012


Semantische Abenteuer-WELTen

Zitat zum Tage

«Es ist das Geschäft der Journalisten, die Wahrheit zu zerstören,
unumwunden zu lügen, zu pervertieren, zu verleumden,
die Füße des Mammon zu lecken und das Land zu verkaufen für ihr tägliches Brot.

Sie wissen es und ich weiss, was es für eine Verrücktheit ist,
auf eine unabhängige Presse anzustoßen.
Wir sind die Werkzeuge und Vasallen der reichen Männer hinter der Szene.

Wir sind die Hampelmänner, sie ziehen die Strippen und wir tanzen. Unsere Talente, unsere Fähigkeiten und unser ganzes Leben sind Eigentum anderer Menschen.
Wir sind intellektuelle Prostituierte.»

[ John Swinton, (1829 – 1901),
US-amerikanischer Chef-Leitartikler der New York Times. Zitat-Quelle ]

Ergänzungen:

Der Trick mit den Medien – Teil I

Der Trick mit den Medien – Teil II

„THE GREAT PRETENDER“

Dirk Müller: „Freie Medien – wie lange noch?

Deutsche Medien: Verlacht, verhöhnt, verspottet

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Semantische Abenteuer-WELTen

Vieles was wir glauben zu wissen, wird uns durch die Medien suggeriert. Dies geschieht über eine manipulierte Informationsflut, die uns gezielt vermittelt wird. Wir sollten realisieren, dass diese Dinge grundsätzlich von Menschen verbreitet werden, die ein Interesse an der Verbreitung solcher Informationen haben. Vieles, was uns die Medien glaubhaft machen wollen, wird mit System, mit Absicht und mit hohem Geldeinsatz gestreut.

Dazu liefern uns die Welt-Online-Autoren Jörg Eigendorf und Tobias Kaiser mit ihrem Traktat „Die gigantischen Verluste bei der Rückkehr zur D-Mark“ ein anschauliches Beispiel.

Bereits die reisserische Headline dieses Pseudo-Kunstwerkes ist darauf angelegt, Ängste zu schüren.
In der Einleitung wird dargelegt, „55 Prozent der Bundesbürger halten laut dem neuesten Deutschlandtrend die Einführung des Euro für einen Fehler, das sind neun Prozentpunkte mehr als noch vor einem halben Jahr“.
Wer sich nicht erst seit gestern mit dem gesamten Themenkomplex beschäftigt, über ein Mindestmaß an ökonomischem Grundverständnis verfügt und/oder nahezu täglich die Stimmung im Volk beobachtet, wird diese Aussage mit einem dicken Fragezeichen versehen und den Prozentsatz der EURO-Gegner weitaus höher einschätzen.

Die Autoren gehen dann der Frage nach, ob es überhaupt möglich wäre, die Euro-Zone zu verlassen und welche Folgen dieser Schritt nach sich ziehen würde. Richtigerweise folgt danach der Hinweis, dass sich unsere Politik bei diesem Thema wegduckt und ausschweigt.

Es folgt die Behauptung, der politische Schaden für Deutschland sei gigantisch und ein solcher Schritt sei wirtschaftlich höchst rikant!
Man versucht diese These mit einem Zitat des Bundesbank-Präsidenten, Herrn Weidmann „Ein Zerfall der Währungsunion wäre mit extrem hohen Kosten und Risiken verbunden, die niemand wirklich vorhersehen kann. Aus diesem Grund kann ein solches Szenario nicht das Ziel des Handelns der politisch Verantwortlichen sein.“ zu unterfüttern und ergänzt diesen Argumentationsstrang mit einem weiteren Weidmann-Zitat: „Das darf andererseits nicht heißen, dass Deutschland erpressbar wird und Haftung ohne Kontrolle verspricht. Denn das würde die Stabilitätsgrundlagen der Währungsunion aushöhlen.“

Es wird weiter ausgeführt, dass manche Ökonomen [Namen werden nicht genannt] dazu raten einen Ausstieg aus der Euro-Zone nicht komplett auszuschließen. Es folgt ein Zitat des bisherigen Chefvolkswirts der Deutschen Bank, Thomas Mayer: „Wenn wir diese Debatte nicht führen, wenn wir nicht zumindest aufzeigen, dass ein deutscher Ausstieg aus der Euro-Zone möglich ist, dann sind wir erpressbar“, dem man eigentlich kaum wiedersprechen kann. Allerdings stellt sich die Frage, welche Figuren nach Meinung von Herrn Mayer diese Debatte führen und damit nachgeordnete Diskussionen an den deutschen Stammtischen in D’land beeinflussen sollen.

„Unter ziemlich rigiden Annahmen“, so der weitere Text, versucht „Welt-online“ ein EURO-Ausstiegs-Szenario zu entwerfen:

Das Denk-Modell der Autoren basiert auf der Grundlage, Deutschland würde zum 1.Juli aus der Euro-Zone aussteigen, mit der Konsequenz, dass wir [es wird nicht definiert was dieses „wir“ bedeutet] noch mehr darum bangen müssten, unser Geld wiederzubekommen, als dies ohnehin schon der Fall ist.

Es mag sein, dass es Privatpersonen mit Forderungen gegenüber einzelnen Club-Med-Staaten oder dort angesiedelter Unternehmen geben mag. Es steht allerdings zu vermuten, dass mit dem „wir“ im wesentlichen Forderungen deutscher Export-Unternehmen oder Kreditengagements deutscher Finanzinstitutionen gemeint sind.

Sollten meine Vermutungen zutreffen, hat man schlichtweg vergessen, dass gerade unsere Wirtschaft über ein hochprofessionelles Controlling verfügt und die Bonität ihrer Kunden sehr gut einschätzen kann. Dies gilt im gleichen Maße für Finanzdienstleister, die mit internationalen Factoring-Konzepten unterwegs sind.
Daneben ist seitens der Exportwirtschaft zu hören, dass täglich Guthaben von Tochterunternehmen in den Club-Med-Staaten, welche nicht unbedingt vor Ort benötigt werden, nach Deutschland transferiert werden.

Insoweit mag die von den Autoren erwähnte Schätzung von Daniel Gros (CEPS), deutsche Banken und Unternehmen würden gegenüber dem Euro-Ausland Forderungen in Höhe von rund 2000 Milliarden Euro halten, richtig oder falsch sein.

Aus meiner Sicht hat diese Aussage keinerlei Qualität, da nicht darauf eingegangen wird, in welchem Zusammenhang diese Forderungen entstanden und besichert sind.

Ohne die deutschen Obligo’s gegenüber den Club-Med-Staaten und dortiger Akteure ermitteln zu wollen, möchte ich festhalten, dass vermutlich ein sehr hoher Anteil solcher Kredite in irgendeiner Form besichert sind. Ein Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone wäre schon alleine deshalb vermutlich ohne nennenswerte Relevanzda man ausstehende Salden weiterhin in Euro oder je nach Vertragskonstrukt in anderen Währungen zu bedienen hätte.
Ich kann daher die vermeintlichen Gründe eines
 [zwischen den Zeilen herauszulesenden] befürchteten Totalausfalls nicht nachvollziehen.

Gleichwohl hat mich die nicht dokumentierte und substanzlose Schätzung von Herrn Gros veranlaßt, exemplarisch die Forderungen deutscher Banken und Versicherer an Kreditnehmer der viertgrößter Volkswirtschaft der Eurozone, also Spanien, zu untersuchen. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, nachfolgend einige Zahlen:

Laut Geschäftsbericht war die Deutsche Bank Ende März 2012 mit netto € 13,7 Mrd. engagiert, wobei € 6,6 Mrd. als Unternehmenskredite in den Büchern stehen. Spanische Staatsanleihen und Kredite an die öffentliche Hand validieren mit € 1,4 Mrd. Spanische Finanzinstitute sind bei der Deutschen Bank mit € 3,6 Mrd. verschuldet, Ausleihungen an den Retail-Bereich werden mit € 1,9 Mrd. beziffert.

Das spanische Engagement der Commerzbank wird per Ende März 2012 mit € 14 Mrd. angegeben, davon € 2,9 Mrd. in spanische Staatsanleihen, € 4 Mrd. in gewerblichen Immobilien-Krediten, € 3 Mrd. an spanische Unternehmen und € 4,4 Mrd. Forderungen gegenüber Finanzinstituten.

Bei der DZ Bank lagen die Forderungen gegenüber der öffentlichen Hand sowie Unternehmen und Banken per Ende 2011 bei € 7,6 Mrd., davon € 3 Mrd. Staatsanleihen, € 4 Mrd. Wertpapiergeschäfte im nichtöffentlichen Bereich und Kredite an Unternehmen und der öffentlichen Hand.

Die DekaBank war zum 31. Dezember 2011 mit insgesamt € 1,35 Mrd. in Spanien engagiert, davon Forderungen gegenüber Banken von € 500 Mio, € 100 Mio gegenüber dem spanischen Staat und € 750 Mio Unternehmenskredite.

Der nach seiner Verstaatlichung dem deutschen Staat (also uns) gehörende Immobilienfinanzierer HRE, hält offenbar keine spanischen Bonds, ist dem Vernehmen nach allerdings mit € 4,5 Mrd. bei spanischen Kommunen und staatsnahen Unternehmen engagiert. Etwa € 600 Mio sollen für die Finanzierung gewerblicher Immobilien ausgereicht worden sein.

Dies ist allerdings kein Anlass, um entspannt aufzuatmen!

Die FMSUnWertmanagement, also die Bad-Bank der HRE hält dem Vernehmen nach noch spanische Anleihen im Wert von € 10,5 Mrd.. Insgesamt wurden im Herbst 2010 Altlasten der HRE im Volumen von € 173 Mrd. zur FMS ausgelagert. Per Ende März 2012 sollen bei der Allianz-Versicherung spanische Staatsanleihen in Höhe von € 4,3 Mrd. in den Büchern stehen.

Der weltgrößte Rückversicherer, die Munich Re (Münchner Rück) ist lt. Quartalsbericht noch mit € 1,4 Mrd.in spanischen Staatsanleihen engagiert, € 4,6 Mrd. stecken in Pfandbriefen, während die Ausleihungen gegenüber spanischen Bank nur noch € 14 Mio ausmachen. Die Munich Re schweigt sich allerdings darüber aus, ob noch weitere Engagements, etwa bei spanischen Unternehmensanleihen bestehen.

Lt. Geschäftsbericht 2011 hält die Bayrische Landesbank keine spanischen Staatsanleihen, ist allerdings mit € 5,8 Mrd. Kreditvolumen an nicht näher zu ermittelnden spanischen Adressen im Risiko.

Die NordLB war Ende des 1. Quartals 2012 noch mit € 499 Mio in Spanien engagiert, Details hierzu waren bislang nicht zu ermitteln.

Die WestLB soll aktuell noch für € 727 Mio spanische Staatsanleihen halten. Die Bad Bank, „Erste Abwicklungsanstalt (EAA)“, für die der deutsche Steuerzahler haften darf, soll Kreditengagements für den gesamten öffentlichen Bereich (public finance, also Staat, Gebietskörperschaften, Kommunen) von € 1,18 Mrd. halten.

Spanische Staatsanleihen und staatlich abgesicherte Kredite bei der HSH Nordbank werden mit € 176 Mioangegeben.

Mich hätten die Engagements der KfW [insbesondere die Volumina der HERMES-Bürgschaften zur Besicherung von Forderungen der deutschen Exporteure] sehr interessiert, eine diesbezügliche Recherche gestaltet sich jedoch recht schwierig.

Nahezu aussichtlos erweisen sich Recherchen nach spanischen Kredit-Obligos, die in „Special Purpose Vehicles“, also Zweckgesellschaften deutscher Finanzinstitute ausgelagert sind.

Addiert man nun die Salden der „großen Spieler“ ergibt sich ein spanisches Gesamt-Risiko von € 70,386 Mrd.

Wo hier ein vermeintliches Total-Ausfall-Risiko erkennbar sein soll, erschließt sich mir NICHT!

Immerhin erwähnen die Autoren die per Ende Mai auf € 699 Mrd. angeschwollenen Target-Zwo Forderungen der Deutschen Bundesbank.
Merkwürdig erscheint dabei die Tatsache, dass noch vor einem Jahr dieses von Prof. Sinn thematisierte Faktum von unseren Qualitäts-Medien als unsinnige Verschwörungs-Theorie verteufelt wurde.

Recht interessant fand ich den Hinweis: „de facto werden also deutsche Exporte mit deutschen Krediten bezahlt“, wobei ich fast wetten möchte, dass den Autoren ebenso wie der Journaille der ökonomische Weitblick fehlen könnte, diese zutreffende Aussage samt Konsequenzen richtig einzuordnen. Dieses Thema soll an der Stelle nicht weiter vertieft werden … dezidierte Nachfragen hierzu sind selbstverständlich jederzeit willkommen.

Es folgt mit Bezug auf Prof. Sinn [Zitat: „wenn Deutschland austritt, verletzt es den Vertrag über die Währungsunion und kann keinerlei Forderungen an das Euro-System mehr geltend machen“] der korrekte Hinweis, dass zumindest ein Teil dieses Geldes [zur Erinnerung: es handelt sich um die Target-Zwo-Forderungen der Bundesbank] verloren seien [ich würde diese Aussage mit „vermutlich verloren sein könnten“ modifizieren wollen].

Danach wird Prof. Sinn mit einem etwas aus dem Zusammenhang herausgerissenen Zitat erneut erwähnt:„Ich halte den Euro für erhaltenswert, und Deutschland sollte Geld auf den Tisch legen, um den Euro zu erhalten.“

Da es zu diesem Zitat keine Quellen-Angabe gibt [Anm.: dies verdient die Note mangelhaft (!)], wäre zu vermuten, dass man sich auf das von der Rheinischen Post am 16.Mai 2012 geführte Interview mit Prof. Sinn bezieht.

Auszug:
[RP] Sollte Deutschland besser die D-Mark wieder einführen?

[Sinn] Nein, wir sollten versuchen, am Euro festzuhalten. Der Euro hat ja nicht nur Probleme, sondern er bringt uns auch große Vorteile im Außenhandel. Und er ist politisch von Vorteil: Er hilft, die Einheit Europas nach innen und nach außen zu sichern.

Danach langweilt der Artikel mit wenig anspruchsvollen Bemerkungen hinsichtlich entstehender Abwertungsverluste der Deutschen Bundenbank gegenüber dem EZB-System und gipfelt mit der im Grundsatz richtigen Ergänzung „die Bundesbank müsse eine gewaltige Summe abschreiben“, ohne natürlich auf Details einzugehen.

Für diesen Fall folgt der Hinweis auf eine „glorreiche Idee“ des Chefvolkswirts der Berenberg Bank, Holger Schmieding:
„um die Buchverluste der Bundesbank zu begrenzen, könne man ja bilanziell unterbewertete Goldreserven neu bewerten“.
Wäre dieses Thema nicht so traurig, hätte ich vermutlich vor Lachen auf dem Boden gelegen. Wie wir leider wissen, gibt es aktuell keine belastbaren Aussagen über Lagerung und Verbleib deutscher Goldreserven.
Die Bundesbank erfreut sich an hübschen Zettelchen, auf denen die Einlieferung quittiert ist.

Es folgt der fulminanten Erkenntnis, dass für den Fall einer ausbleibenden Neubewertung der Goldreserven[Anm.: aktueller Wert ca. € 132,9 Mrd., also weitaus weniger als die Target-Zwo Forderungen] die Bundesregierung zum Ausgleich der entstehenden Verluste Eigenkapital nachschießen und somit die Staatsschulden erhöhen müsse.

Schmieding wird weiter zitiert mit: „Die Schuldenquote könnte schnell auf 110 oder 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Wenn es einen Weg in einen deutschen Staatsbankrott geben sollte – das wäre er.“

Was dieser Herr im Konzert mit vielen anderen EX-perten nicht realisieren möchte … die Schuldenquote Deutschlands im Verhältnis zum BIP liegt bei Berücksichtigung aller vorliegenden Fakten bereits heute bei 139,8% (!)

In absoluten Zahlen ausgedrückt liegen die expliziten Staatsschulden [Bund, Länder, Kommunen]zuzgl. der Schulden, die in Schattenhaushalten [wie etwa Altschulden für die Treuhandanstalt, HRE- und Commerzbank-Engagement, Verpflichtungen aus PPP-Geschäften, etc.] und allen begebenen hochrisikanten Garantien & Bürgschaften [EZB, EIB, KFW, EU-Stabilitätsfonds, Target-II, Anteil am EU-Budget] mittlerweile bei US$ 5358 Mrd., also etwa € 4250 Mrd.(!)

Die Aufschlüsselung der einzelnen Summen findet sich hier, wobei der Target-II-Saldo noch mit € 656 Mrd.[per Ende Mai sind daraus € 699 Mrd. geworden] angegeben ist.

Konzentrieren wir uns wieder auf die semantischen Abenteuer der Welt-Autoren, die natürlich ohne belastbare Fakten vorzulegen behaupten, „durch einen Euro-Austritt würden die öffentlichen Haushalte auch deshalb kräftig in Mitleidenschaft gezogen, weil das Bruttoinlandsprodukt stark zurückginge“.

In der nächsten Behauptung wird „das Ende des deutschen Exportwunder’s“ an die Wand gemalt und dabei Michael Burda, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, zitiert:
„Da käme ein richtiger Aufwertungs-Tsunami auf uns zu. Die Exportmargen würden in den Keller gehen, und die Hälfte der exportierenden Wirtschaft stände auf der Kippe. Wenn den Exporteuren das Geschäft wegbricht, müssen sie die Löhne hierzulande drücken. Weihnachts- und Urlaubsgeld ständen ganz oben auf der Streichliste. Das sind aber noch lange nicht alle Belastungen, die ein Austritt nach sich zöge. Denn da sind ja noch weitere Vermögen und Forderungen von Staat, Bürgern und Unternehmen.“

Geht’s noch?
Werden wir gerade Zeuge einer speziellen Virus-Erkrankung, welche die Synapsen von Lohnschreibern hoch-toxisch werden läßt?

Die journalistische Glanzleistung setzt sich fort mit in sich nicht stimmigen Behauptungen zu erwartenden Verlusten für Staat, Wirtschaft und Banken.
Der Abschnitt „was Bürger verlieren“ beschäftigt sich mit der These, dass eine Währungsumstellung die noch vorhandenen Guthaben der Sparer vernichten und uns alle arm machen würde.

Was soll man dazu noch sagen?
Einerseits wird die neue Währung einen Aufwertungs – Tsunami erfahren, aber die umgestellten Konten sind dann nichts mehr wert … wäre dies die Argumentationslinie eines „Kuckucksnest-Residenten“???

„Ist die Goldmark die Rettung?“ verstehe ich an der Stelle als nicht zu Ende gedachte rhetorische Frage, auf die ich auf Wunsch gerne in einem separaten Aufsatz eingehen könnte.

Fazit:

De facto wollen uns die Autoren folgendes weismachen:
Nachdem uns die Einführung des Euro in den letzten 11 Jahren eine faktische Entwertung unserer Guthaben(gemessen an der alten Kaufkraft der DM) in Höhe von 50 Prozent eingebracht hat, soll nun eine Rückkehr zur alten DM einen Staatsbankrott erzeugen und zudem während eines Aufwertungs–Tsunamis ALLE Guthaben der Sparer auf Null bringen. Es ist also egal was man tut, bleibt man im Euro, ist es teuer und es wird noch teurer. Geht man aus dem Euro heraus, sind wir pleite und unser aller Vermögen ist weg.

Eine solche Argumentation der Euro Befürworter ist doch per se eine Bankrotterklärung erster Güte!!!!!
Was man macht, es ist falsch. Dies ist die Hauptthese, die sie zwar nicht sehen wollen, aber ihre Argumentation folgt dieser Logik!

In toto strotzt dieser Artikel geradezu von Einseitigkeit und faktenfreien Behauptungen. Mit keinem Satz werden die Aufwertungs-Effekte untersucht.

Wie oben ausgeführt liegt die Summe aller deutschen Schulden, Garantien & Bürgschaften bei € 4250 Mrd. Euro, einschließlich der [vermutlich verlorenen] Target-Zwo Salden von € 699 Mrd. Euro.

Geht man nun von einer Aufwertung der D-Mark 2.0 gegenüber dem Rest-Euro von 40% aus, ergibt sich ein Aufwertungs-Windfall von etwa € 1700 Mrd. mit dem der Totalverlust aus Target-II Forderungen von € 700 Mrd. locker abgedeckt werden könnte. Per Saldo stünden also noch ca.€ 1000 Mrd. an Aufwertungserträgen zur Disposition.

In der Folge würden all unsere Einfuhren, insbesondere Öl- und Gasimporte deutlich günstiger, was letztlich auch vermeintliche Sorgen um unsere Export-Industrie dämpfen dürfte.<br
Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass der Zulieferer-Anteil unserer Export-Konzerne (branchenabhängig) bei bis zu 60% liegt und sich ein überwiegender Teil der Produktionsstandorte dieser Unternehmen ausserhalb Deutschlands befindet [mit anderen Worten ausserhalb der D-Mark-Zone].

Das vorsorgliche Jammern über vermeintliche Währungsnachteile unserer Export-Industrie ähnelt der Gespenster-Debatte aus dem Jahr 1969:

Karl Schiller setzte damals gegen heftigste Proteste von CDU und Franz Josef Strauss eine DM-Aufwertung um 8,5% durch, ohne dass dies zu signifikanten Export-Einbußen führte.

An der Stelle stellt sich manchmal die Frage, ob unsere von sich so überzeugten Granden, die sich das Stimmungsbild der Menschen gerade schweigend aus intellektuellen Schützengräben ansehen, während ihrer Studienzeit bei den Vorlesungen zu Wirtschaftsgeschichte und Politologie virtuelles Heizölhacken geübt haben?

Die DM 2.0 könnte nicht nur unsere Binnenkonjunktur befeuern, sondern auch durch steigende Importe aus den Club-Med-Staaten sowie steigender Touristik-Umsätze notwendige Impulse zu deren Stabilisierung beitragen.

Herzlichen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, welche ich mit einem Zitat von Berthold Brecht honorieren möchte:

„Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“

Ihre Fragen, Anregungen und Kommentare und vor allem konstruktive Kritik sind herzlich willkommen.

Ihr Oeconomicus


„Die dürre Bertha“

„Die dürre Bertha“

Hans Werner Sinn hat Ende März ein neues ausführliches Target 2 Papier* verfasst, das seine Thesen zusammenfasst und auf einige neue Aspekte eingeht – ein Kommentar.

Mehrere deutsche Ökonomen kritisieren die Target Salden innerhalb des ESZB, die sie als „Target Kredite“ bezeichnen. Beginnen will ich mit Hans Werner Sinns Kernaussage:

“Target Kredite bedeuten wie öffentliche Rettungsschirme, dass das deutsche Sparkapital mit dem Geleitschutz der Staatengemeinschaft, faktisch vor allem mit dem Geleitschutz des deutschen Steuerzahlers, wieder aus Deutschland ins Ausland gelockt wird, damit es dort statt hier Arbeitsplätze schafft.”

Jörg Krämer kommt zu einer ähnlich negativen Einschätzung:

“Sie (die EZB) finanziert mittlerweile die Leistungsbilanzdefizite der hochverschuldeten Peripherieländer und bürdet damit den Kernländern der Währungsunion hohe Risiken auf.”**

Beides ist wenigstens in Teilen richtig, aber es ist nur ein Ausschnitt der Lage, der bei alleiniger Betrachtung falsche politische Schlüsse nahelegt.

Tatsächlich gibt es in Italien und den anderen GIIPS der Eurozone schon lange Zeit Leistungsbilanzdefizite. Diese Leistungsbilanzdefizite sinken aber in letzter Zeit leicht (vergleiche hierzu diesen sehr nützlichen Beitrag von Bornhorst und Mody ebenso wie Sinns eigene Abbildung 9 – bei der man allerdings die Steigung der Kurve der kumulierten Leistungsbilanzdefizite betrachten muss).

Was sich verändert hat, ist das Verhalten der Investoren. Deutsche Investoren sind weniger bereit, in den GIIPS Ländern zu investieren und die Investoren dieser Länder legen ihr Geld u.a. in Deutschland an.

Wir sehen uns also einer Kapitalflucht und einem Ausstieg ausländischer Investoren gegenüber, der dadurch begrenzt wird, dass die Gemeinschaft der Eurozonenländer die Erneuerung von Krediten an die Banken der GIIPS Länder nun über die EZB verbürgt.

Wie das zu bewerten ist können wir erst verstehen, wenn wir uns die Alternative vor Augen führen. Wenn die EZB der Kapitalflucht untätig zugesehen hätte, hätte es zum spontanen Ausverkauf südeuropäischer Anleihen kommen können, weil den Banken gezwungen gewesen wären, die Aktivseite ihrer Bilanzen rasch zu verkürzen.

Eine Kreditklemme oder sogar die Liquidation von Banken in Südeuropa wäre möglich gewesen. Im Zuge einer solchen Krise hätten deutsche Anleger einen großen Teil ihres dort eingesetzten Kapitals und deutsche Arbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren können.

Wenn wir die Liquiditätsbereitstellung der EZB – deren Folge die Target Salden sind – im Vergleich zu diesem Szenario bewerten, dann liegt eine andere Interpretation nahe, als die meines Kollegen Sinn.

Target Salden entstehen, weil deutsches Kapital durch den Geleitschutz der Staatengemeinschaft vor Verlusten durch einen Ausverkauf von Wertpapieren durch Banken in den GIIPS Ländern geschützt wird.

Die damit verbundenen Risiken sollen vertragsgemäß von allen Staaten der Eurozone als Anteilseigner der EZB getragen werden. Allerdings ist das bei einigen dieser Staaten nicht glaubwürdig weil ein insolventes Land nichts zu einer Kapitalerhöhung der EZB beitragen könnte.

Dieses Vorgehen der EZB bürdet den Steuerzahlern in großen Teilen der Eurozone ein Risiko auf. Wegen des Inflationsrisikos im Fall eines Scheiterns der Reformbemühungen in Italien und Spanien gibt es auch ein Risiko für Anleger in nicht-indizierten Anleihen. Zugleich sinkt der Anpassungsdruck auf die Leistungsbilanzen der GIIPS Länder.

Wir müssen in Alternativen denken, wenn wir Politik bewerten. Die heile Welt ist selten als Alternative verfügbar. Das gilt auch für die Politik der EZB. Die Alternative einer dürren Bertha, d.h. einer spärlichen Liquiditätsversorgung bei den LTROs, hätte für Europa – auch für Deutschland – verheerend enden können.

Die Politik der großzügigen LTROs und die Ausweitung der zugelassenen Sicherheiten haben sicherlich nicht das Ziel, Arbeitsplätze von Nord nach Süd zu verlagern. Sie geben der italienischen und der spanischen Regierung Zeit, den Konsolidierungskurs fortzusetzen ohne eine Rezession auszulösen. Durch die Vermeidung einer tieferen Krise werden Arbeitsplätze in Deutschland zunächst gesichert.

Dabei will ich nicht die möglichen Nebenwirkungen kleinreden, die auf der Hand liegen. Die Anpassung der Faktorpreise in Südeuropa wird möglicherweise erschwert und eine Fehlallokation von Ressourcen wird insbesondere durch die wenig überzeugende Nationalisierung der Besicherungsstandards begünstigt.

Die LTROs und die Nationalisierung der Besicherungspolitik beinhalten für Deutschland wie für andere Länder der Eurozone Risiken, die zu den staatlichen Rettungspaketen hinzukommen. Es wird also ein Risiko – das des Bankrotts italienischer Banken – durch ein anderes – das einer dauerhaften Reformverweigerung in Italien und Spanien – ersetzt.

Nur liebe Kollegen: was genau wäre – abgesehen von höheren Zinsen – die Alternative?

—–

* Hans Werner Sinn „Die Target Kredite der deutschen Bundesbank“, Ifo Schnelldienst.

** FAZ vom 26.3.2012. Ich finde die Bezeichnungen Kern und Peripherie hier übrigens nicht wirklich passend. Deutschland und Holland grenzen an die Nordsee, und Finnland grenzt an die Halbinsel Kola, was diese Länder zu Peripherieländern der Eurozone macht. Andorra, Luxemburg und der Vatikanstaat sind dann die Kernländer der Eurozone.

Ein Kommentar von Hans Peter Grüner 18. April 2012, 15:10 Uhr

Hans-Werner Sinn’s Statement zu Grüner’s Kommentar:

„Hans-Werner Sinn sagt:
April 20, 2012 um 8:52 am

Lieber Herr Grüner,

keine grundsätzlichen Einwände, nur ein Kommunikationsproblem. Wieso weisen Sie umkleidet in die Aussage, das sei eine andere Meinung als meine und die von Jörg Krämer, darauf hin, dass die Leistungsbilanzdefizite auch schon vor der Krise groß waren.(„ Tatsächlich gibt es in Italien und den anderen GIIPS der Eurozone schon lange Zeit Leistungsbilanzdefizite.“) Wollen Sie mir unterstellen, ich hätte gesagt, dass diese Defizite durch die Target-Kredite entstanden seien? Das wäre sicherlich falsch, denn meine Grundthese ist doch, dass der billige Kredit der Vorkrisenzeit Blasen bildete und die Leistungsbilanzdefizite geschaffen hat. Dazu habe ich mir die Finger wund geschrieben. Nur versagte sich in der Krise das private Kapital, und deshalb mussten die Defizite mit der Notenpresse weiterfinanziert werden. Das kann man nun wirklich nicht missverstehen. Und wieso ist Krämer falsch, wenn er sagt, dass die Target-Salden die Leistungsbilanzdefizite finanzieren? Sie sagen doch genau dasselbe! Ich stehe jetzt wirklich „auf dem Schlauch“. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Das versiegende Kapital zu ersetzen ist doch genau dasselbe wie das Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren! Der Unterschied liegt nur im Semantischen, nicht im Faktischen, denn wir reden über eine Budgetbeschränkung. Das Leistungsbilanzdefizit muss mit Kapitalimporten oder Target-Krediten finanziert werden. Wenn die Kapitalimporte runter gehen, müssen die Target-Kredite raufgehen, oder das Leistungsbilanzdefizit geht auch runter. Mehr Möglichkeiten gibt es nicht.

Zu Ihrer Frage, was die Alternative wäre: Wenn es schwieriger wäre, an den EZB-Kredit heranzukommen, wären die Zinsen im Süden höher, und die notwendige reale Abwertung, die wir bislang in den Daten über den BIP-Deflator vergeblich suchen, fände wenigstens ein bisschen statt. Meinen Sie wirklich, die Eurozone kann bestehen bleiben, wenn wir beliebige Kreditbeträge zu einem einheitlichen Zins, der die Risiken nicht abdeckt, durch das EZB-System schleusen. Wir bekämpfen doch keine akute Krise, sondern ein Dauerproblem. Die EBZ finanziert die Leistungsbilanzdefizite nun schon teilweise im fünften Jahr. Wie lange wollen sie den öffentlichen Kreditfluss noch an die Stelle des privaten setzen. Der Übergang zur Zentralverwaltungswirtschaft kann auch schleichend passieren.

Mit freundlichem Gruß
Ihr Hans-Werner Sinn“

Die Bilanz der Vermögensübertragungen

Eine Antwort auf Hans Werner Sinn’s Kommentar zu meinem Beitrag „Die Dürre Bertha“.

„Lieber Herr Sinn,

Ich möchte die Wahl, vor der wir stehen, noch einmal mit Blick auf alle drei Hauptkomponenten der Zahlungsbilanz (Leistungsbilanz, Bilanz der Vermögensübertragungen, Kapitalverkehrsbilanz) beschreiben.

Neben der Leistungsbilanz und der Kapitalverkehrsbilanz gibt es die Bilanz der Vermögensübertragungen. Erst die Salden dieser drei Bilanzen und der Betrag, der den statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen zugewiesen wird, addieren sich zu Null. In normalen Zeiten spielt die Bilanz der Vermögensübertragungen praktisch keine Rolle. Im vorliegenden Fall sehe ich das anders.

Wenn sich das private Kapital aus den GIIPS Ländern zurückzieht, und wenn die EZB nicht einspringt, dann passen sich die Handels- und Dienstleistungsströme nicht zwingend genau so an, dass die Kapitalströme ausgeglichen werden. Stattdessen kann es zu einem teilweisen Schuldenerlass kommen. Der wird dann nicht in der Leistungsbilanz, sondern in der Bilanz der Vermögensübertragungen erfasst.

Stellen wir uns einmal vor, die EZB hätte im Herbst 2011 nicht eingegriffen. Europa kam beim EFSF nicht voran. Was wäre dann angesichts der Kapitalflucht aus den GIIPS Ländern mit den Leistungsbilanzen in Europa passiert? Vermutlich wären die GIIPS-Importe von Waren und Dienstleistungen zurückgegangen. Aber auch die Exporte nach Deutschland hätten zurückgehen können, wenn dort die Nachfrage eingebrochen wäre.

Einer Verringerung der privaten Forderungen an die GIIPS Länder kann auch ein Forderungsverzicht gegenüberstehen, der dann in der Bilanz der Vermögensübertragungen ausgewiesen wird. Das Risiko des Forderungsverzichts gehen wir ein, wenn wir den Kreditfluss über die EZB nun massiv erschweren. Herr Krämer hat Recht, dass die EZB Politik mit Risiken verbunden ist. Es ist aber nur ein Teil der Story. Worauf ich hinweisen will, sind unsere Risiken, wenn die EZB nichts tut.

Ich verstehe Sie so, dass es das Ziel der Politik der EZB sei, Arbeitsplätze aus Deutschland in die GIIPS Länder zu verlagern. Ich halte eine solche Arbeitsplatzverlagerung nicht für das wahrscheinliche Ergebnis der EZB Maßnahmen. Ich gehe vielmehr davon aus, dass die Kreditvergabe der EZB trotz all ihrer Nebenwirkungen Arbeitsplätze in ganz Europa bewahrt hat und weiter bewahren wird.

Diese Währungsunion hat ein gemeinsames Problem: die beachtliche Verschuldung Italiens bei gleichzeitig hoher durchschnittlicher Verschuldung der gesamten Eurozone. Als Italien aufgenommen wurde war Helmut Kohl noch Bundeskanzler, als die Standards verwässert wurden Gerhard Schröder.

Das Problem lässt sich durch nachträgliches Vertrauen auf Marktzinsen nicht mehr ohne erhebliche Risiken lösen, weil die italienische Lage zu kippelig ist. Risiken gibt es dann auch für die Preisstabilität.

Die besten Grüsse, Ihr Hans Peter Grüner“

Hans-Werner Sinn antwortet Hans Peter Grüner

Im folgenden eine Antwort von Ifo-Chef Hans-Werner Sinn auf den Blogpost, den Hans Peter Grüner am 23. April zum Zusammenhang zwischen der Leistungsbilanz und den Target-Salden geschrieben hat:

„Lieber Herr Grüner,

vielen Dank für Ihre Antwort vom 23. April 2012. Lassen Sie mich nochmals rekapitulieren. Sie haben als Kritik an meiner Position angeführt, die Target-Salden hätten die Leistungsbilanzdefizite nicht finanzieren können, weil diese Defizite ja auch schon vor der Krise und vor dem Herausbilden der Salden vorhanden gewesen seien. Daraufhin habe ich gesagt, dass ich die Ausweitung der Leistungsbilanzdefizite auch nicht behauptet hatte, sondern nur die Finanzierung dieser Defizite mit Target-Krediten. Ein Leistungsbilanzdefizit im Euroraum müsse nun mal durch Target-Kredite oder durch (normale) Kapitalimporte finanziert werden. Sie erwiderten in Ihrem letzten Brief, dass Leistungsbilanzdefizite auch durch Vermögensübertragungen, wie sie durch Konkurse stattfinden, bezahlt werden können.

Was Sie sagen ist zwar richtig: Ein griechischer Konkurs führt zu einem Forderungsverzicht der Ausländer, der für sich genommen eine Verminderung des griechischen Kapitalimports bedeutet und insofern neben dem normalen Kapitalimport und den Target-Krediten eine weitere Finanzierungsquelle für das Leistungsbilanzdefizit hätte sein können.

Indes fand in den vier Krisenjahren 2008-2011, auf die sich meine Aussage bezog, kein solcher Forderungsverzicht statt. Insofern bleibt die Aussage richtig, dass in diesen Jahren Griechenland praktisch keinen normalen Kapitalimport hatte und sein gesamtes Leistungsbilanzdefizit mit Target-Krediten finanziert hat, also mit Refinanzierungskrediten, die über die Versorgung der griechischen Wirtschaft mit Transaktionsmitteln hinausgingen. Und selbst wenn es einen Konkurs gegeben hätte, wäre die Aussage, dass praktisch das gesamte Leistungsbilanzdefizit mit Target-Krediten finanziert wurde, immer noch richtig gewesen.

Ob ein Konkurs in dieser Zeit ohne Hilfen der EZB stattgefunden hätte, was ich, wie Sie, vermute, spielt für meine Aussage ebenfalls keine Rolle. Auch nicht, wie und ob die Leistungsbilanz auf die Target-Kredite reagierte. Meine Aussage war, dass der normale Kapitalimport, mit dem die Leistungsbilanzdefizite vorher finanziert wurde, versiegte und durch Target-Kredite ersetzt wurde. Bitte lesen Sie noch einmal das Working Paper mit Timo Wollmershäuser (ifo-Fassung). Daran gibt es nichts zu rütteln.

Sie bringen nun einen weiteren Aspekt in Ihrem Brief, indem Sie sich zur Bewertung der EZB-Politik äußern. Man kann zweierlei Position dazu einnehmen, eine keynesianische und eine allokative, bzw. eine kurzfristige und ein langfristige. Beide Sichtweisen werden ausführlich in der Langfassung des genannten Working-Papers diskutiert.

Timo Wollmershäuser und ich vertreten dort auch Ihre Auffassung, dass die EZB-Politik in der Lehman-Krise nützlich war und Arbeitsplätze gerettet hat. Es gibt keinen Dissens bezüglich der Nützlichkeit der Politik in der akuten Krise.

Meinungsunterschiede kann es nur bezüglich der langen Frist geben, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie das wirklich anders sehen. Eine Lockerung der Budgetbeschränkungen, die kurzfristig richtig sein kann, ist langfristig meistens schädlich.

Wir befinden uns heute im fünften Jahr der Krise und im fünften Jahr der Totalfinanzierung von Griechenland. Griechenland hat bislang in Form von Target-Krediten, intergouvernementalen Krediten und des Schuldenerlasses vom Frühjahr ziemlich genau 500 Mrd. Euro erhalten, was anteilig auf das BIP umgerechnet 125 Marshall-Plänen entspricht. Der Verdacht, dass hier schon mehr Hilfen geflossen sind, als zur Bekämpfung einer kurzfristigen Panik der Märkte nötig war, liegt auf der Hand.

Bezüglich der langfristigen Wirkungen der EZB-Politik, hier insbesondere der Absenkung der Sicherheitsstandards der Refinanzierungskredite, die zu den Target-Krediten führte, sollte man auf die Zinsen schauen. Für sich genommen verringert die EZB-Politik die Kreditknappheit im Süden und verringert damit indirekt auch die für Deutschland günstige Spreizung der langfristigen Zinsen, die durch das Misstrauen der Märkte verursacht wurde. Auch führt die EZB-Politik unmittelbar zu mehr Nachfrage im Süden und damit zur Erhöhung der dortigen Inflation oder Minderung der Deflation, was die EZB bei ihrem gegebenem Inflationsziel von 2% zwingen wird, höhere Zinsen am kurzen Ende zu verlangen, als es sonst der Fall wäre. Beides dämpft das Wachstum in Deutschland im Vergleich zu einer anderen Politik mit einer weniger großzügigen Interpretation der Sicherheitsstandards für Refinanzierungskredite und folglich höheren Zinsen im Süden.

Das Problem bei der EZB-Politik ist, dass sie das deutsche Sparkapital, das eigentlich nicht mehr in den Süden will, mit dem Geleitschutz des deutschen Steuerzahlers doch wieder dorthin leitet, bislang schon 619 Mrd. Euro. Sie tut dies, indem sie auf die Risikoprämien im Zins verzichtet, die die Märkte verlangen, und insofern den nationalen Notenbanken und den dahinter stehenden Staaten Risiken auferlegt, die nicht kompensiert werden. Dadurch senkt sie den Effektivzins im Sinne der mathematischen Zinserwartung (Zins minus Konkurswahrscheinlichkeit) in den unsicheren Ländern des Südens unter den Effektivzins des Nordens (EEAG-Bericht 2012, Kap. 2). Die ungleichen Effektivzinsen führen zu einer Fehlallokation des Kapitals und entsprechenden Wohlfahrtsverlusten im Sinne einer Wachstumseinbuße für den gesamten Euroraum, weil im Süden Projekte mit einem kleineren Grenzprodukt finanziert werden als jene, die man statt dessen im Norden unterlässt.

Im US-amerikanischen System wäre das nicht möglich gewesen. Dort sind die Target-Salden, also die Überziehungskredite zwischen den Distrikt-Notenbanken, in der Krise relativ zum BIP auf maximal 3% gestiegen und wurden durch Tilgung auf dem Wege der Übertragung sicherer Wertpapiere im April eines jeden Jahres immer wieder reduziert, bis auf 0,1% oder 21 Mrd. US-Dollar in diesem April. In Europa, wo man für seine Importüberhänge hingegen unbegrenzt anschreiben lassen kann und nur 1% Zins für die Target-Salden zahlt, sind diese Salden geradezu explodiert und betragen am aktuellen Rand (März 2012) 9,8% des BIP oder 925 Mrd. Euro. Müsste man in Europa wie in den USA die Target-Salden tilgen, wären die Zinsen im Süden höher. Deshalb würde einerseits mehr privates Kapital fließen. Andererseits wären die Sparanstrengungen größer, und entsprechend schneller würden sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte verringern. Die Bundesbank würde dann von den anderen Notenbanken für 600 Mrd. Euro sichere Wertpapiere erhalten, was sie in die Lage versetzten würde, den Banken und den Sparern, die dahinter stehen, die bei ihr angelegten Gelder bei Bedarf auch einmal wieder zurückzuzahlen. Meines Erachtens kann man die Rückzahlung nicht auf einen Schlag verlangen, aber die Zuwächse sollten ähnlich wie in den USA begrenzt werden und perspektivisch sollte man von den Salden wieder herunterkommen, ohne dass man dazu einen anderen kollektiven Geleitschutz für das Kapital in Form von Eurobonds oder ähnlichem erzeugen muss.

Mit freundlichem Gruß

Ihr

Hans-Werner Sinn“