Teufel vs Weihwasser ..
Veröffentlicht: 10. März 2013 Abgelegt unter: DEMOKRATIE | Tags: Bertelsmann-Stiftung, Bundestag, BVerfG, Dr. Aart De Geus, Dr. Norbert Lammert, Europäische Integration, Grundgesetz, Konvent, Prof. Andreas Voßkuhle, Referendum 3 Kommentare.. oder Politik vs. Referendum
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Ihnen ist sicher schon häufiger aufgefallen was Politiker, deren Hofstaat samt Einfluß-Bereich konzertiert durch mediale Sedativa am meisten fürchten:
die Vorstellung das eigene Volk über unliebsame politische Ziele zu befragen … Terminus technicus: Referendum.
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Ein demonstrativer Beleg hierfür wurde anlässlich der Phoenix-Talkrunde “Parlamente in der Europäischen Integration” in solch perfekt inszenierter Weise abgeliefert, dass wohl nur ausgeschlafene Selbstdenker mit staunendem Gesichtsausdruck das gereichte Sedativum als solches erkennen konnten.
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Die Teilnehmer:
– Dr. Norbert Lammert (Präsident des Deutschen Bundestages)
– Prof. Andreas Voßkuhle (Präsident des Bundesverfassungsgerichts)
– Michael Link (Staatsminister im Auswärtigen Amt)
– Dr. Aart De Geus (Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung)
– Martin Klingst (Korrespondent Washington, Die Zeit)
Moderation: Prof. Christian Calliess
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Dabei erscheint es geboten den Argumentationslinien der Diskutanten zum Thema “Referendum” ganz besondere Beachtung zu schenken.
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Prof. Andreas Voßkuhle am 05.11.2011 im Focus-Interview:
„Wenn wir einen europäischen Bundesstaat schaffen, dann brauchen wir eine neue Verfassung und dann muss das Volk beteiligt werden. Das kann über eine direkte Abstimmung über einen vorher erarbeiteten Verfassungsentwurf geschehen oder über einen Konvent, der speziell dafür gewählt wird.“
Eine Nationalversammlung nach dem Vorbild der Paulskirche wäre das, so Voßkuhle ..
„und dann das Modell des Verfassungskonvents, oder stellvertretend für das Volk ein neues Grundgesetz erarbeitet.“
Welchen Charakter dieses Modell dann hätte – nämlich seinen – machte der Verfassungsgerichtspräsident aber schon mal präventiv deutlich:
„Die Vorstellung, mit mehr Plebisziten würde die Welt demokratischer, ist sicherlich falsch.”
beste Grüße
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Ihr Oeconomicus
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“Europa- und Europolitik sind vernunft- und rechtswidrig”
Veröffentlicht: 22. Februar 2013 Abgelegt unter: Buch-Tipps & Literatur-Empfehlungen, Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland | Tags: Bürgerschaft, BVerfG, DEMOKRATIE, Deregulierung, ESM, EuGH, GG Art. 23, GG Art. 79 Absatz 3, Grundgesetz, Parteien, Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Souveränität Hinterlasse einen KommentarInterview mit Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
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Herr Professor Schachtschneider, Ihr neues Buch “Die Souveränität Deutschlands” trägt den Untertitel “souverän ist, wer frei ist”. Wie stark ist unsere Freiheit durch die europäische Zwangsintegrationspolitik gefährdet?
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Die Freiheit der Bürger verwirklicht sich in der Republik. Deren politische Form ist die Demokratie. Verletzungen des demokratischen Prinzips sind, jedenfalls wenn sie den nicht disponiblen Kern des Demokratischen mißachten, Souveränitätsverletzungen. Die Integrationspolitik ignoriert die Bürgerschaft als den Souverän weitestgehend. Nicht nur die Vertrags- und Verfassungsverletzungen sind mit der Souveränität als der Freiheit nicht vereinbar, sondern die Übertragung von Hoheitsrechten, welche mit der Souveränität unlöslich verbunden sind. Das ist etwa die Wirtschafts- und die Währungshoheit. Auch die Handelspolitik muß in der Hoheit jedenfalls eines wesentlich vom Export lebenden Landes bleiben.
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Auf jeden Fall muß die Bürgerschaft durch ihren Staat das letzte Wort in der Gesetzgebung und der Rechtsprechung haben. Gesetzgebung muss strikt demokratisch legitimiert und damit auch demokratisch organisiert sein. Das ist die Gesetzgebung der Europäischen Union in keiner Weise; denn diese ist eine Gesetzgebung der Exekutive. Maßgeblich sind die Kommission, die das alleinige Vorschlagsrecht hat, und der Rat, die Minister der Mitgliedstaaten. Das Europäische Parlament ist zwar an vielen Akten der Gesetzgebung beteiligt, im übrigen nicht den wirklich wichtigen, aber hat keine demokratische Legitimationskraft. Zum einen vertritt dieses „Parlament“ kein Volk, weil es ein Unionsvolk nicht gibt, vielmehr die Abgeordneten nach wie vor Vertreter der Völker sind, zum anderen ist diese Vertretung ein krasser Verstoß gegen die demokratierechtlich essentielle Egalität des Stimmgewichts der Wähler.
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Schlimmer noch der Europäische Gerichtshof. Ein Verfassungsgericht muß eine starke demokratische Legitimation haben. Dieser Gerichtshof hat gar keine. Seine Richter werden von den Regierungen ernannt, ausgerechnet von den eigentlichen Gegenspielern des Rechts. Die Amtszeit beträgt bei übermäßig hohem Gehalt nur sechs Jahre. Das macht die Richter wegen der Begehrlichkeit gefügig. Sie wollen erneut berufen werden. Die Judikatur des Gerichtshofs ist ein permanenter Staatsstreich. Das jüngste Beispiel ist das skandalöse Urteil, in dem der Europäische Stabilitätsmechanismus gerechtfertigt wurde. Das Gericht wollte nicht einmal zugestehen, daß das Bail-out-Verbot durch den ESM verletzt wird.
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Wenn die Union rechtens als Staat agieren will, was sie der Sache nach tut, muß sie als solcher gegründet werden. Das setzt Zustimmungen aller beteiligten Völker durch Referenden voraus. Zu empfehlen ist das nicht, weil ein Großstaat der Demokratie keine Chance läßt.
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Die Einheitswährung ist gegen jede wirtschaftliche Vernunft. Kein Volk kann sie wollen. Sie schadet allen beteiligten Völkern schwer. Sie dient gerade durch ihr Scheitern als Hebel, den zentralistischen Unionsstaat mit einheitlichen Lebensverhältnissen herbeizuzwingen. Das ist schwere Souveränitätsverletzung. Aber auch das Herkunftslandprinzip, wonach die Legalität von Waren, Dienstleistungen usw. sich nach dem Herkunftsland bestimmt, ist mit der Souveränität der Bestimmungsländer unvereinbar, weil deren Rechtsordnung marginalisiert wird. Man denke nur an das Lebensmittelrecht.
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Die Europäische Union ist eine zunehmend diktatorische Bürokratie und damit das Gegenteil eines freiheitlichen Gemeinwesens, wie es die Souveränität als Bürgersouveränität postuliert.
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Auf die Einheitswährung kommen wir gleich zu sprechen. Zunächst: Was rechtfertigt eigentlich die EU, wenn, wie Sie sagen, die Wirtschafts- und Währungshoheit sowie auch die Handelspolitik untrennbar mit der nationalen Souveränität verbunden sind?
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Ich vermag keine Rechtfertigung für die Europäische Union, wie sie sich entwickelt hat und in den Verträgen vereinbart ist, zu erkennen. Aber: Das Grundgesetz verpflichtet die „Bundesrepublik Deutschland“ in Art. 23 „zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäischen Union mitzuwirken, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“. Diese Verfassungsverpflichtung ist richtig und entspricht der sittlichen Pflicht jedes Volkes, durch ein bestmöglich vertraglich geordnetes Zusammenleben mit den näheren und ferneren Nachbarn dem Frieden zu dienen. Nur die reale EU entspricht keinem der Kriterien, welche das Grundgesetz gemäß seinen nach Art. 79 Absatz 3 unabänderlichen Grundsätzen für das vereinte Europa und dessen Entwicklung als Europäischen Union vorschreibt. Diese Grundsätze sind zugleich Rechtsprinzipien einer Verfassung der Menschheit des Menschen, wie sie mit dem Menschen geboren sind. Sie fließen aus der Menschenwürde und damit auch der Freiheit des Menschen.
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Es fängt schon damit an, daß die EU keinerlei Anstalten macht, das wirkliche Europa zu vereinen. Rußland wird nicht einbezogen, gehört aber trotz des großen Territoriums in Asien zu Europa. Demgegenüber soll die Türkei Mitglied der EU werden, obwohl sie ein asiatischer Staat ist und sich zunehmend von der europäischen Kultur entfernt. Die Mittelmeerunion zielt langfristig auf die Erweiterung der EU in den vorderen Orient und nach Nordafrika. Die EU ist weder demokratisch (keine demokratische Legitimation der Gesetzgebung und Rechtsprechung), noch rechtsstaatlich (keine Gewaltenteilung, kein hinreichender Rechtsschutz der Bürger), noch sozial (wirtschaftliche Instabilität, neokapitalistisch), noch subsidiaristisch (übermäßige Befugnisse, fast unbegrenzter Vorrang der Unionspolitik), noch schützt sie die Grundrechte (kein legitimes Gericht, keine Grundrechtsbeschwerde, schwacher Grundrechtskanon, Möglichkeit der Todesstrafe). Ohne Unionsvolk gibt es keine Unionsdemokratie und ohne Demokratie weder Rechtstaat noch Sozialstaat. Wenn ein Unionsvolk verfaßt werden soll, bedarf es der Aufhebung der Souveränität Deutschlands (und die der anderen Staaten). Das geht nicht ohne Änderung des Grundgesetzes in der Substanz, wie das Bundesverfassungsgericht (meinem Vortrag folgend) im Lissabon-Urteil klargestellt hat. Ich habe all das vielfach in meinen Schriften und Verfassungsbeschwerden dargelegt und vorgetragen. Allenfalls ist die EU föderativ, marginalisiert allerdings die Länder Deutschlands, die souveräne Staaten sind. Sie tendiert deutlich zum zentralistischen, bürokratischen Staat mit einheitlichen Lebensverhältnissen der Bevölkerung, aber ohne Bürger im bürgerlichen Sinne. Das Grundgesetz zielt auf ein europäisches Europa, ein Europa souveräner Völker und freier Bürger, wie es General De Gaulle vorschwebte. Das unterstütze ich uneingeschränkt. Nur das entspricht der Souveränität der Völker, der Freiheit der Bürger. Mehr läßt das Grundgesetz nicht zu und mehr ist nicht vernünftig.
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Die wirtschaftliche Rechtfertigung ist mit der Realisierung des Binnenmarktes und der Währungseinheit verloren gegangen. Beide ruinieren sichtbar die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten, auch die Deutschlands. Die Divergenzen haben sich vor allem zu Lasten der lateinischen Staaten und Griechenlands verschärft. Die Staaten des Ostens haben nur Anfangsvorteile aus den Subventionen. Der neoneoliberale unechte Freihandel durch die überzogene Deregulierung schadet allen Beteiligen, wenn er auch vorübergehend Deutschland und einigen anderen Ländern Wettbewerbsvorteile, verstärkt durch die preislichen Vorteile der unterbewerteten Währung, bringt, sichtbar friedenswidrig. Die Wirtschaftsfreiheit sichert auch die WTO hinreichend, die aber keine Kapitalverkehrsfreiheit enthält. Das ist ein wichtiger Schutz gegen den entgrenzten und grenzenlosen Kapitalismus, der seine verheerende Wirkung in der Finanzkrise beweist. Die Politik der Binnenmarktderegulierung hat verkannt, daß eine Volkswirtschaft die wirtschaftliche Einheit eines Volkes, organisiert als Staat, ist. Diese Einheit schließt das Soziale, das wesentlich durch das Gleichheitsprinzip bestimmt ist, ein. Sozialpolitik läßt sich aber nur schwer, wenn überhaupt, durch Deregulierung der Wirtschaft machen. Die Erhardsche Vorstellung, daß Markt und Wettbewerb die beste Sozialpolitik seien, ist nur in Verbindung mit einem Staat richtig, der die Hoheit über Wirtschaft und Soziales hat und in der Lage ist, „Wohlstand für alle“ zu gewährleisten. Der Binnenmarkt verschiedener Staaten und damit ohne einheitliche solidarische Sozialpolitik hat zu einem unvollkommenen Staat geführt. Daß diese Politik gescheitert ist, ist jedem klar geworden, aber es gibt keinen Weg des Rechts, sie zu korrigieren. Aber es wäre auch weder politisch noch wirtschaftlich richtig, jedenfalls nicht demokratisch. Man kann nicht zusammen zwingen, was nicht zusammen gehört. Mir geht es darum, Freiheit und Recht zu verteidigen, also die Demokratie. Ich denke, das sieht das Bundesverfassungsgericht trotz allen politischen Opportunismus nicht anders.
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Das Friedensargument ist Propaganda. Kein Volk Europas will in Europa Krieg führen. Die beiden Weltkriege haben allen europäischen Völkern gereicht. Außer Rußland und sehr begrenzt Frankreich und Großbrittanien ist kein Staat in Europa kriegsfähig, keinesfalls gegen die USA, Deutschland schon gar nicht. Die NATO läßt in ihrem Bündnis keinen Krieg zu. Notwendig wäre ein Verteidigungsbündnis, wenn es die NATO und auch die UNO als Organisation des Weltfriedens nicht gäbe. Neben der NATO entwickelt sich die Gemeinsame Sicherheitspolitik, die auch einen Sonderstatus im Unionsvertrag hat, nicht wirklich.
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Sie machen der Politik in Bezug auf die Euro-Rettungspolitik eine elitäre und egalitäre Gleichheitsideologie zum Vorwurf. Worin sehen Sie deren Motive?
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Die Eurorettung ist eine Politik der politischen, medialen, finanziellen und industriellen Eliten in deren Interessen, also elitär, nicht eine Politik der Völker für die Völker und somit nicht demokratisch. Diese Politik ist egalitaristisch, weil sie die Gleichheitsideologie für ihre Zwecke nutzt. Der Egalitarismus ist die wirkmächtigste Ideologie der Gegenwart. Unterschiede werden nicht geduldet, nicht nur in der Bevölkerung eines Staates, sondern auch unter den Bevölkerungen der Staaten, jedenfalls nicht in der Europäischen Union. Der von den Eliten aufgezwungene Egalitarismus für die Bevölkerungen, die auf Arbeit und Verbrauch reduziert werden, gilt nicht für die Eliten selbst. Das Gesetz der Macht der Wenigen über der Ohnmacht der Vielen setzt sich wieder durch. Darum bekämpfen die Eliten die Bürgerlichkeit der Bürger, weil diese nicht nur der Freiheit verpflichtet ist, sondern auch Unterschiede erlaubt und fördert. Demokratie sollte die politische Form der allgemeinen Freiheit sein, hat sich aber mangels Freiheitspflege zur politischen Form der Gleichheit entwickelt. Alexis de Tocqueville hat diese Entwicklung schon erfaßt und beschrieben. Der Egalitarismus der Untertanen ist die wesentliche Bedingung der Herrschaft der Eliten, der Oligarchie. Diese sind gegenüber den Untertanen wesentlich ungleich. Sie sind mächtig und reich. Sie feiern sich ununterbrochen, Bambiverleihung etc. Die Bevölkerungen nehmen das mehr oder weniger resigniert hin. Wichtig ist ihnen, daß es den anderen Untertanen nicht besser geht. Die Eliten verkehren untereinander und ihre Absprachen haben stärkere Verbindlichkeit als Gesetze, Verträge und sogar Verfassungen. Sie agieren wie ein Adel, weniger legitim als früher die Aristokratie. Die wenigen politischen Führer halten mittels ihrer parteilichen Gefolgschaft die Staaten im Griff, schließen „Freundschaften“, duzen sich staatswidrig. Das Herrschaftsinstrument in den Parteien ist die verfassungswidrige Ämterpatronage. Ein wirksamer Parteienpluralismus besteht jedenfalls in Deutschland nicht mehr. Auch der Verbändepluralismus ist dem Internationalismus weitgehend erlegen, insbesondere die Gewerkschaftsautonomie. Die Bevölkerungen werden mit Brot und Spielen ruhig gehalten, durch Propaganda der Medien irregeführt und mittels Moralismus an der politisch essentiellen freien Rede gehindert. Der politische Einfluß der Bürger, so es die noch gibt, ist marginalisiert. Egalitarismus setzt Eliten voraus, welche ihn durchsetzen. Das machen sie nicht zu ihren eigenen Lasten. Unter freien und in der Freiheit gleichen Bürgern, die durch Besitz und Bildung selbständig sind, läßt sich weder der Elitarismus noch der Egalitarismus entwickeln. Deswegen werden die Bürger, wesentlich der Mittelstand, enteignet und die Bildung wird aus dem Schul- und Hochschulwesen vertrieben. Der Internationalismus zementiert diese freiheitswidrigen Entwicklungen.
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Politik und Notenbank suggerieren in ihren Statements, in der Eurokrise sei das Schlimmste überstanden. Sie halten dagegen eine Stabilität der einheitlichen Währung für überhaupt nicht erreichbar. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
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Die schwächeren, im Übermaß deindustrialisierten, Volkswirtschaften des europäischen Binnenmarktes, einschließlich der Frankreichs, haben gegenüber den stärkeren, insbesondere der Deutschlands, wegen der harten Deregulierung durch die Grund- oder Wirtschaftsfreiheiten keine Wettbewerbschance, schon gar nicht, wenn sie das Lohnniveau in etwa auf den deutschen Standard anheben. Weil sie die Preise ihrer Produkte nicht durch Lohnsenkung wettbewerbsfähig zu machen in der Lage sind, sind sie auf die Abwertung ihrer Währung angewiesen. Das schließt der Euro als Einheitswährung aus und verschärft damit ihren Wettbewerbsnachteil. Die wettbewerbswidrigen Preise wirken sich weltweit aus, nicht nur auf dem Binnenmarkt. Das verstärkt den Effekt der überbewerteten Währung. Die erwarteten Folgen sind eingetreten. Die Volkswirtschaften der Peripheriestaaten liegen danieder. Die Arbeitslosigkeit ist die Alternative zu den erforderlichen drastischen Lohnsenkungen. Diese Länder haben, wie zu erwarten, nur vorübergehend von den Zinssubventionen und den damit verbundenen kreditierten Investitionen profitiert. Kredite müssen, können aber nicht zurückgezahlt werden. Jetzt sind diese Volkswirtschaften rezessiv und es gibt kein Maß an Subventionen, das sie wettbewerbsfähig machen könnte. Das Leistungsgefälle und die Leistungsbilanzdefizite lassen sich nicht ausgleichen. Die Starken werden stärker, die Schwachen schwächer. Ohne Schutz haben die Schwachen keine Chance, ihre Wirtschaft zu stärken. Sie sind Opfer der undifferenzierten Freihandelsdokrin, die ihnen nicht die versprochenen Segnungen des Wachstums gebracht hat, sondern erwartungsgemäß im Gegenteil Schrumpfung. Zudem „retten“ die „Schirme“ die Gläubiger, vor allem Banken, nicht die Menschen, die Opfer des irregeleiteten unechten Freihandels.
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Allenfalls ein bundesstaatsgemäßer Finanzausgleich, der eine hinreichende Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der gesamten Eurozone schafft, könnte die Währungseinheit bewahren. Der ist aber nicht nur wirtschaftlich nicht leistbar, sondern auch politisch nicht. Die Völker aller beteiligten Staaten müßten, wie schon gesagt, durch Referenden zustimmen, ihre Souveränität aufzugeben und ein neues Volk, das der Eurobürger, und einen neuen Staat, den Eurostaat, verfassen. Souveränität heißt wesentlich Freiheit der Bürger, welche nur demokratisch verwirklicht werden kann. Das wäre wegen der Größe dieses Staates, aber auch wegen der Homogenitätsdefizite nicht möglich. Souveränität heißt auch eigenständiges wirtschaftliches und damit eigenständiges soziales Schicksal des Volkes. Niemand kann erhoffen, für eine solche Politik die Zustimmung der Völker zu finden. Da helfen keine Visionen vom großen und mächtigen Europa und da hilft auch nicht die hohle Drohung, die Einzelstaaten würden den globalen Wettbewerb mit den großen Volkswirtschaften, USA, China, Indien, Rußland, Brasilien, nicht bestehen können. Das ist ein Zweckargument, das die Unkundigkeit der Bevölkerung mißbraucht, um Angst, immer eine wirksame Triebfeder, zu machen. Kleine Volkswirtschaften sind die erfolgreichsten, die Schweiz, Singapur. Das Argument der Größe und Macht kommt typisch von den Profiteuren des globalen Marktes, den international agierenden Unternehmen und deren Managern, die durch die von ihnen erzwungene Lohn- und Besteuerungsunterbietung zu Lasten der Völker außerordentliche Gewinne machen bzw. durch unsittliche Bezüge schwer reich geworden sind. Dieser neue „Adel“ ist genauso wie die von ihm bezahlten Ökonomen unglaubwürdig.
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Die Europolitiker werden die Beendigung des Euro-Abenteuers solange hinauszögern als es irgend geht. Der Schaden wird unermeßlich. Aber der Euro ist als Währung vieler heterogener Volkswirtschaften gescheitert und wird in Inflation und Währungsreform untergehen. Je länger der Eurokonkurs verzögert wird, desto gefährdeter ist das politische System, das immer noch Chancen birgt, zu Freiheit und Recht, die ohne ökonomische Vernunft keine Wirklichkeit haben, zurückzukehren. Das zwingt zur Rückkehr zu nationalen Währungen, durchaus mit der Option, zu bilateralen oder auch multilateralen Währungsverbünden unter Wahrung der nationalen Währungssouveränität, vorausgesetzt, der optimale Währungsraum besteht. Das aber muß jeder Staat selbst verantworten können; denn nur durch ihren Staat können die Bürger ihre Verantwortung für ihr Wohlergehen tragen. Die Finanzierung fremder Haushalte, in welcher Form auch immer, durch einen ESM oder durch ESZB und EZB, ist zutiefst undemokratisch, ja staatswidrig, aber auch wirtschaftlich nicht tragbar.
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Das Projekt Brüssel ist gescheitert. Es gilt, ein europäisches Europa zu schaffen, ein Europa der Freiheit und des Rechts, ein Europa der praktischen und somit wirtschaftlichen Vernunft. Die Unionsverträge müssen revolutioniert werden, d. h. die Union und ihre Mitgliedstaaten müssen zum Recht befreit werden.
Herr Professor Schachtschneider, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.
Das Gespräch mit Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider führte Andreas Marquart im Februar 2013 per E-Mail.
Ludwig von Mieses-Institut Deutschland
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korrespondierende Archiv-Beiträge
Die EZB sprengt ihr Mandat
Veröffentlicht: 6. September 2012 Abgelegt unter: EZB | Tags: Budgethoheit, Bundestag, BVerfG, ESM, Euro-Zone, EZB, Grundgesetz, Interventionen, Prof. Dr. Clemens Fuest Hinterlasse einen KommentarDie EZB sprengt ihr Mandat
Mario Draghi will Anleihen von Krisenstaaten aufkaufen, um ein Zerbrechen der Euro-Zone zu verhindern. Damit entmachtet der EZB-Präsident nicht nur die nationalen Regierungen, sondern auch das Bundesverfassungsgericht.
Kommentar von Prof. Clemens Fuest im Handelsblatt
Alle lieben Karlsruhe
Veröffentlicht: 25. August 2012 Abgelegt unter: BEWERTUNGEN ZUM ZEITGESCHEHEN, BVerfG, Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland | Tags: Allensbach-Institut, Bundestag, BVerfG, DEMOKRATIE, Demoskopie, ESM, Grundgesetz, Hartz IV, Prof. Paul Kirchhof, Renate Köcher Hinterlasse einen KommentarAlle lieben Karlsruhe
Die Deutschen vertrauen den Karlsruher Verfassungsrichtern deutlich mehr als der Regierung oder dem Bundestag. Das ergibt eine aktuelle Allensbach-Umfrage. Doch weshalb ist das so?
Das Allensbach-Institut hat die Deutschen sehr ausführlich zu ihrer Meinung über das BVerfG befragt, und die FAZ hat die Auswertung der Institutsdirektorin Renate Köcher wie üblich abgedruckt. Das Ergebnis: Anfang der 90er Jahre fand nicht mal jeder Zweite das BVerfG gut. Und heute? 64 Prozent! Vertrauen in die Institution haben sensationelle 75 Prozent (zum Vergleich: Bundestag 40 Prozent, EU-Kommission 22 Prozent). Ihren Einfluss finden 56 Prozent angemessen, weitere 14 Prozent sogar noch zu gering. Das gilt auch ganz konkret für die aktuellen europapolitischen Themen: 68 Prozent finden es goldrichtig, dass die Entscheidung über die Eurorettung in Karlsruhe fällt, nur 15 Prozent sähen sie in Berlin und Brüssel besser aufgehoben.
“Die Sorge, dass der europäische Integrationsprozess sukzessive die Geltung des Grundgesetzes aushöhlt, hat signifikant zugenommen”
zur Bewertung von Max Steinbeis
Einsatz der Streitkräfte im Inneren
Veröffentlicht: 17. August 2012 Abgelegt unter: BVerfG, DEMOKRATIE, DEUTSCHLAND - GERMANY, Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland | Tags: Bundesverteidigungsminister, BVerfG, Eilkompetenz, Grundgesetz, Katastrophennotstand, Notstandsverfassung, Prof. Dr. Reinhard Gaier, Streitkräfte im Inland, Verfassungsänderung Hinterlasse einen KommentarBVerfG: Pressemitteilung Nr. 63/2012 vom 17. August 2012
Ein weiterer „schwarzer Tag“ des angeblich demokratischen Rechtsstaates
Darf jetzt erstmal geschossen werden um DANACH (!) höchstrichterlich zu klären, ob der Schießbefehl juristisch korrekt war?
Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren („Luftsicherheitsgesetz“)
Das Plenarverfahren hat seinen Ursprung in dem von der Bayerischen und der Hessischen Staatsregierung anhängig gemachten Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, in dem der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) mit dem Grundgesetz vereinbar sind (2 BvF 1/05; vgl. Pressemitteilung Nr. 140/2009 vom 21. Dezember 2009). Die Vorschriften regeln die Voraussetzungen und Modalitäten, unter denen die Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle eingesetzt werden können. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte in dem Normenkontrollverfahren das Plenum angerufen, da er beabsichtigte, von Rechtsauffassungen abzuweichen, die dem Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz (1 BvR 357/05; vgl. Pressemitteilung Nr. 11/2006 vom 15. Februar 2006) zugrunde liegen. Mit diesem Urteil hatte der Erste Senat die Bestimmung des § 14 Abs. 3 LuftSiG, der die Streitkräfte zum Abschuss als Waffe gegen das Leben von Menschen eingesetzter Luftfahrzeuge ermächtigte, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die Entscheidung des Ersten Senats stützte sich dabei auf die Annahmen, 1. dass sich die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für die Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG nur auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stützen lasse, wonach die Streitkräfte zur regionalen und überregionalen Unterstützung der Polizeikräfte der Länder bei Naturkatastrophen oder einem besonders schweren Unglücksfall eingesetzt werden können, 2. dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulasse, und 3. dass die in § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG geregelte Eilkompetenz des Bundesverteidigungsministers in Fällen des überregionalen Katastrophennotstandes nicht mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar sei, der eine Entscheidung der Bundesregierung verlange. Diese drei Rechtsauffassungen hat der Zweite Senat mit Beschluss vom 3. Mai 2011 zum Gegenstand der Vorlage an das Plenum gemacht. Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts hat über die Vorlagefragen wie folgt entschieden: 1. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 und 3 GG, sondern aus Art. 73 Nr. 6 GG a. F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. 2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG schließen die Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die insbesondere sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Art. 87a Abs. 4 GG gesetzt sind. 3. Der Streitkräfteeinsatz in Fällen des überregionalen Katastrophennotstandes nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, auch in Eilfällen, nur aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung zulässig. Der Richter Gaier hat hinsichtlich der Vorlagefrage zu 2. ein Sondervotum abgegeben. Dem Plenarbeschluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Die Bestimmungen der Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand regelt, keine ausdrückliche Kompetenzgrundlage. Ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes aufzusuchen, liegt in systematischer Hinsicht und nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung nicht nahe. Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG a. F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Soweit der Bund für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, steht ihm als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu. Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren. Die Bestimmungen der §§ 13 ff. LuftSiG enthalten ein eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes. Sie regeln nicht nur die Mittelbereitstellung für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder, sondern enthalten zugleich unmittelbar außenwirksame Ermächtigungen zum Streitkräfteeinsatz. 2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Streitkräfteeinsatzes mit spezifisch militärischen Waffen Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Inneren zu wahren. Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle. Es ist jedoch weder durch den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG noch die Systematik des Grundgesetzes zwingend vorgegeben, dass der Streitkräfteeinsatz nach diesen Bestimmungen auf diejenigen Mittel beschränkt ist, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürften. Vielmehr spricht der Regelungszweck, eine wirksame Gefahrenabwehr zu ermöglichen, für eine Auslegung, die unter den engen Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte überhaupt in Betracht kommt, die Verwendung ihrer spezifischen Mittel nicht generell ausschließt. Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Beschränkung der einsetzbaren Mittel beabsichtigt hat. Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Zwar stand dem verfassungsändernden Gesetzgeber als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen. Dies schließt es jedoch nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Gefahrenfälle anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung dieser Bestimmungen. Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Insbesondere sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 87a Abs. 4 GG zu berücksichtigen, der vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen unterwirft. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt. Enge Grenzen sind dem Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG durch das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt. Hiervon erfasst werden nur ungewöhnliche Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes. Insbesondere stellt nicht eine Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar. Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand. Auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG können Streitkräfte daher nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind. So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist, nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht. Schließlich muss der Unglücksfall bereits vorliegen. Dies setzt zwar nicht notwendigerweise einen bereits eingetretenen Schaden voraus. Der Unglücksverlauf muss aber bereits begonnen haben und der Eintritt eines katastrophalen Schadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen. Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig. Eine umfassende Gefahrenabwehr für den Luftraum mittels der Streitkräfte kann auf Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht gestützt werden. 3. Anordnungskompetenz der Bundesregierung Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ermächtigt allein die Bundesregierung als Kollegialorgan, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen. Danach besteht auch für Eilfälle weder eine Befugnis der Bundesregierung, die ihr zugewiesene Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied zur delegieren, noch eine Befugnis des Gesetzgebers zu einer abweichenden Zuständigkeitsbestimmung. Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine speziellere Regelung trifft. Eine abweichende Zuständigkeit für Eilfälle kann auch nicht aus einem auf wirksame Gefahrenabwehr gerichteten Zweck des Art. 35 Abs. 3 GG oder aus staatlichen Schutzpflichten abgeleitet werden. Für die Auslegung der Vorschriften zum Streitkräfteeinsatz im Inneren, die in einer politisch hochumstrittenen Materie als Ergebnis ausführlicher, kontroverser Diskussionen zustande gekommen sind, gilt das Gebot strikter Texttreue. Jedenfalls deshalb verbietet sich eine auf die Vermeidung von Schutzlücken gerichtete teleologische Verfassungsinterpretation, die vom bewusst und in Übereinstimmung mit der Systematik gewählten Wortlaut abweicht. Sondervotum des Richters Gaier: Das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung schließt den Kampfeinsatz der Streitkräfte im Inneren mit spezifisch militärischen Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) Katastrophennotstandes aus. Mit seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage würdigt das Plenum weder hinreichend den Wortlaut der einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte noch erfolgt eine systematische Auslegung mit Blick auf die Einheit der Verfassung als „vornehmstes Interpretationsprinzip“. Insoweit hat der Plenarbeschluss im Ergebnis die Wirkungen einer Verfassungsänderung. 1. Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung anders als vor 1968 der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), bleibt die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit allein Aufgabe der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Mit dieser strikten Trennung zieht unsere Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Wer hieran etwas ändern will, muss die zu einer Verfassungsänderung erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten für sich gewinnen, was Anfang 2009 nicht gelungen ist. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, hier korrigierend einzugreifen. 2. Dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in beiden Fällen des Katastrophennotstandes von Verfassungs wegen untersagt ist, lässt sich mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes begründen. Entgegen der Auffassung des Plenums hat der Rechtsausschuss des Bundestages im Rahmen der Notstandsgesetzgebung im Jahr 1968 eine klare Entscheidung getroffen und in seinem damaligen Bericht, der Grundlage für den Gesetzgebungsbeschluss des Bundestages zur Verfassungsänderung war, unmissverständlich vorgeschlagen, den Einsatz militärisch bewaffneter Streitkräfte auf den Staatsnotstand als eine besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 GG) zu beschränken. Zudem lässt das Plenum völlig außer Acht, dass zur Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Im Einklang damit steht die Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der „Notstandsverfassung“ erfahren hat. Die strikte Trennung der Regelung des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes andererseits belegt, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Zudem lässt auch der Umstand, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die Einsatzentscheidung zuweist, nur den Schluss zu, dass er von vornherein den Einsatz spezifisch militärischer Waffen im Katastrophennotstand nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte. Denn Gefährdungslagen, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen mit Vernichtungskraft begegnet werden kann, sind dadurch gekennzeichnet, dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Daher wäre die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum Einschreiten gerade auch mit Blick auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebte „wirksame Bekämpfung“ dysfunktional. 3. Der Plenarbeschluss kann mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Der Versuch der weiteren Eingrenzung des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes durch das Erfordernis eines „unmittelbar bevorstehenden“ Schadenseintritts „von katastrophischen Dimensionen“ wird der nötigen Klarheit und Berechenbarkeit nicht gerecht. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis - etwa bei regierungskritischen Großdemonstrationen - viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Das ist jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. 4. Im Übrigen bietet der durch den Plenarbeschluss nun erweiterte Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren für den Schutz der Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen keine messbaren Vorteile. Zwar mag es danach nunmehr zulässig sein, dass Kampfflugzeuge unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG „Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben“. Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche Maßnahmen wird allerdings insbesondere in „Renegade“-Fällen deshalb wenig wahrscheinlich sein, weil der Abschuss von Flugzeugen, in denen sich Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, mit dem Grundrecht auf Leben in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar ist und unzulässig bleibt. Es kommt hinzu, dass - auch nach der Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals zu einer rechtzeitigen Maßnahme führen wird. Soll danach der Rahmen, den das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der nun erweiterten Zulässigkeit von Kampfeinsätzen eine Verfassungsänderung gleichwohl unvermeidlich. DAZU Eine Bewertung von Daniel Neun: "Militäreinsatz im Innern ohne Verfassungsänderung genehmigt: FÜnfzehner-Bande in Karlsruhe putscht gegen die zivile Bundesrepublik Deutschland" ARD-Bericht über Bundeswehr im Inneren -Video [1:38 Min]
Katastrophische Dimensionen
Auszug:
„Etwas lächerlich ist das Urteil der Gerichtes dennoch.
Wenn die BRD die Bundeswehr im Inland zur Niederschlagung von „Gefährdung ihrer Machtposition“, jetzt offiziell, eingesetzt werden darf,
dann tut Assad auch nichts anderes mit den plündernden Horden von Plebs, die in Syrien offensichtlich, bewaffnet die Grundordnung Syriens zerstören wollen.Dieses Gesetz erklärt das, was Assad in Syrien tut, als westlich legitim.
Dieses Regime verabschiedet Gesetze, die sie in „Diktaturen“ wie sie es nennen, selber offen verurteilen.
„Katastrophische Dimensionen“ hat zwar juristisch noch keine genaue Definition, allerdings ist die politisch, lobbyistisch gelenkte „Rechtsprechung“ in Deutschland,
schon um einige katastrophale Dimensionen weiter.Wer erst die Bundeswehr zur Söldnertuppe macht, ein Wehrpflichtiger ist nicht so einfach bereit, auf seine Verwandtschaft zu schießen,
und danach so ein Gesetz erlässt, plant „Großes“ nach deren „Rechtsempfinden“.Da kommt ein großes blutiges Unrecht auf die Bürger zu….“
Quelle Das BVerfG bricht ein Tabu aristo blog
Anmerkung
Hat noch jemand Fragen … oder ist Ihnen schon richtig übel?
Ihr Oeconomicus
Wer hat das letzte Wort in Euro-Fragen?
Veröffentlicht: 14. August 2012 Abgelegt unter: BVerfG, Verfassungsbeschwerden | Tags: BVerfG, Dominoeffekt, Eilverfahren, ESM, EuGH, Fiskalpakt, Grundgesetz, No-Bailout-Klausel, Parlamentsbeteiligung, Prof. Andreas Voßkuhle, Prof. Markus Kerber, Thomas Pringle (irischer Abgeordneter), Urteil, Zwischenverfahren Hinterlasse einen KommentarSTREIT ÜBER RETTUNGSPOLITIK
Wer hat das letzte Wort in Euro-Fragen?
Muss das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Euro-Rettungsschirm ESM abwarten, bevor es sein Urteil fällt? Ja, meinen Euro-Kritiker. Doch so einfach ist die Sache nicht.
[…]
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte allerdings bereits in der mündlichen Verhandlung angedeutet, dass über mehr als die in Eilverfahren übliche reine Abwägung der Folgen einer einstweiligen Anordnung entschieden werde. Wegen der internationalen Bedeutung des Urteils könnte womöglich ein „Zwischenverfahren mit vertiefter summarischer Prüfung“ klären, ob der Euro-Rettungsschirm ESM und der Fiskalpakt verfassungskonform sind, hatte Voßkuhle gesagt. Solch eine Entscheidung ist eigentlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Handelsblatt – 14.08.2012, 07:22 – Kommentare
Affront gegen das Verfassungsgericht: Altkanzler Helmut Schmidt
Veröffentlicht: 3. Juli 2012 Abgelegt unter: BVerfG, DEMOKRATIE, DEUTSCHLAND - GERMANY | Tags: Atlantikbrücke, €-Bonds, BVerfG, DEMOKRATIE, EURO-Rettung, Europa, Grundgesetz, Helmut Schmidt, Joachim Gauck (18. März 2012 - Present), Prof. Andreas Voßkuhle, Subsidiarität Hinterlasse einen KommentarAffront gegen das Verfassungsgericht: Altkanzler Helmut Schmidt
Helmut Schmidt bei der 60 Jahresfeier der Atlantikbrücke. Bundespräsident Gauck bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel, beides Vollblutdemokraten mit der höchsten Achtung vor der Demokratie, könnte man meinen. Sehen Sie sich das Video an und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung.
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