Prof. Sinn: Gedanken zur Entwicklung der Euro-Zone

Die Europäische Fiskalunion
Gedanken zur Entwicklung der Eurozone

von Prof. Dr. Hans-Werner Sinn

Sohmen Lecture 2012
Ludwig-Maximilians-Universität München
26. April 2012, Große Aula der Universität
Überarbeitet, Stand: 23. Juli 2012.
Erscheint in Perspektiven der Wirtschaftspolitik

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  1. Der geplatzte Traum
  2. Primat der Politik
  3. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und die Selbsthilfe mit der Notenpresse
  4. Deutschland in der Target-Falle
  5. Der ESM
  6. Der Fiskalpakt
  7. Wirklich Rettung? – Eine unbequeme Dichotomie der EZB-Politik
  8. Zwei Modelle für Europa
  9. Der EEAG-Vorschlag: Versicherung mit Selbstbehalt
  10. Wie es weitergeht
  11. Ein gemeinsamer Bundesstaat
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PDF – 43 Seiten
Ein „must-read“ mit sehr gut dargestellten Hintergründen und Zusammenhängen


Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes

Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP

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A. Problem und Ziel
Die Risiken für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes sind seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 weiter gestiegen. Die Staaten der Eurozone benötigen daher schlagkräftigere Mechanismen für ein effektiveres Krisenmanagement zur Unterstützung überschuldeter Staaten, die eine angemessene und mit marktwirtschaftlichen Prinzipien vereinbare Kostentragung des Privatsektors ermöglichen. Im Rahmen der gegenwärtigen Diskussionen haben Überlegungen zur Einführung von Umschuldungsklauseln („Collective action clauses“) eine zentrale Rolle übernommen. Im Kern sind diese Klauseln darauf gerichtet, staatliche Umschuldungen zu erleichtern, indem hierfür benötigte Beschlüsse der Gläubiger an Mehrheitserfordernisse gebunden werden, die unterhalb der Einstimmigkeit liegen.

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Bereits Ende des Jahres 2011 hatten sich die Staaten der Eurozone auf Musterbestimmungen für Umschuldungsklauseln verständigt. Der am 2. Februar 2012 von allen Staaten des Euro-Währungsgebietes unterzeichnete Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus verpflichtet nunmehr die Staaten des Euroraumes zur Einführung solcher Umschuldungsklauseln ab dem 1. Januar 2013, deren rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des
Euro-Währungsgebietes jeweils gleich zu sein hat. Aus diesem Grund ist künftig die Verwendung von Umschuldungsklauseln durch Ergänzung der Emissionsbedingungen von Bundeswertpapieren mit einer Laufzeit von über zwölf Monaten vorgesehen.
Diese Klauseln kommen nur im Fall eines drohenden Zahlungsausfalls zur Anwendung.

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Dem Bundesschuldenwesengesetz, das die Aufgaben und Instrumente des Schuldenwesens regelt, werden Vorschriften hinzugefügt, die die Möglichkeit vorsehen, Umschuldungsklauseln in die Emissionsbedingungen des Bundes einzuführen. Wesentliche Inhalte der beabsichtigten Ergänzung der Emissionsbedingungen werden im Sinne eines Leitbilds verankert.

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Hierbei trägt der Gesetzentwurf dem Umstand Rechnung, dass Emissionsbedingungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 119, 305, 312) Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen und daher einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen. Nach dem für eine Inhaltskontrolle grundlegenden Maßstab des § 307 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dürfen Allgemeine Geschäftsbedingungen den Vertragspartner des Verwenders nicht unangemessen benachteiligen. Die wesentlichen Grundgedanken der Umschuldungsklauseln sollen mit diesem Änderungsgesetz verankert werden. Das Bundesschuldenwesengesetz übernimmt somit die Funktion eines Leitbilds, das die wesentlichen Inhalte der unter den Eurozonen-Staaten abgestimmten Umschuldungsklauseln nachzeichnet.

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B. Lösung

Um die Einführung von Umschuldungsklauseln im Bereich der Bundeswertpapiere zu ermöglichen, ist das Bundesschuldenwesengesetz im Hinblick auf mögliche gerichtliche Inhaltskontrollen um ein Leitbild für solche Klauseln zu ergänzen. Dieses Leitbild enthält wesentliche Elemente der von den Staaten der Eurozone vereinbarten Musterbestimmungen.

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C. Alternativen
Keine.

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D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Zusätzliche Haushaltsausgaben sind infolge der Durchführung des Gesetzes nicht zu erwarten.

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E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Der Gesetzentwurf enthält keine Regelungen, die zu einem Erfüllungsaufwand bei Bürgern führen.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Es entsteht kein Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft, da die Anwendung des Gesetzes im Rahmen der Einführung der Umschuldungsklauseln insoweit keine Auswirkungen hat.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Es entsteht kein Erfüllungsaufwand für die Verwaltung, da die Anwendung des Gesetzes im Rahmen der Einführung der Umschuldungsklauseln insoweit keine Auswirkungen hat.

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F. Weitere Kosten


Auch zusätzliche Kosten, insbesondere in der Finanzbranche, entstehen nicht.

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Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes
Das Bundesschuldenwesengesetz vom 12. Juli 2006 (BGBl. I S. 1466) wird wie folgt geändert:
1. Nach § 4 werden die folgenden §§ 4a bis 4k neu eingefügt:
§ 4a – Einführung von Umschuldungsklauseln
Die Emissionsbedingungen der vom Bund begebenen Schuldverschreibungen mit einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr können Klauseln enthalten, die
zum Zwecke der Umschuldung eine Änderung der Emissionsbedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger mit Zustimmung des Bundes ermöglichen (Umschuldungsklauseln).
Die Umschuldungsklauseln können auch die Möglichkeit zur einheitlichen Beschlussfassung für Schuldverschreibungen verschiedener Anleihen vorsehen
(anleiheübergreifende Änderung). Soweit Emissionsbedingungen nichts Abweichendes vorsehen, gelten für die Umschuldungsklauseln die §§ 4b bis 4k.

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§ 4b – Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger
(1) Die Gläubiger können insbesondere folgende Umschuldungsmaßnahmen beschließen (wesentliche Beschlüsse):
1. die Verringerung der Zinsen, die Veränderung ihrer Fälligkeit, die Verringerung oder die Veränderung des Verfahrens zu ihrer Berechnung;
2. die Verringerung der Hauptforderung, die Veränderung ihrer Fälligkeit oder die Veränderung des Verfahrens zu ihrer Berechnung;
3. die Änderung der Währung der Schuldverschreibungen oder des Zahlungsortes;
4. die sonstige Änderung einer Zahlungsverpflichtung des Bundes;
5. die Freigabe oder die Änderung einer Garantie oder einer sonstigen Sicherheit, sofern die Freigabe oder die Änderung der Bedingungen nicht bereits ausdrücklich vertraglich vorgesehen sind;
6. die Änderung der Umstände, bei deren Vorliegen die Schuldverschreibungen vorzeitig gekündigt werden können;
7. die Änderung der Rangfolge der Forderungen aus den Schuldverschreibungen;
8. die Änderung des anwendbaren Rechts, sofern die Schuldverschreibungen nicht dem deutschen Recht unterliegen;
9. die Änderung des Gerichtsstands, sofern in den Emissionsbedingungen ein ausländischer Gerichtsstand vereinbart wurde.
(2) Die Gläubiger beschließen entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer schriftlichen Abstimmung.
(3) Beschlüsse, die in einer Gläubigerversammlung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 50 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen.
Wesentliche Beschlüsse, die in einer Gläubigerversammlung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen.
Wesentliche Beschlüsse, die in einer Gläubigerversammlung gefasst werden und eine anleiheübergreifende Änderung betreffen, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich aller von der Änderung betroffenen Anleihen sowie einer Mehrheit von mindestens 66 2/3 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich jeder einzelnen von der Änderung betroffenen Anleihe.
(4) Beschlüsse, die im Wege einer schriftlichen Abstimmung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 50 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen.
Wesentliche Beschlüsse, die im Wege einer schriftlichen Abstimmung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 662/3 Prozent des
Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen.
Wesentliche Beschlüsse, die im Wege einer schriftlichen Abstimmung gefasst werden und eine anleiheübergreifende Änderung betreffen, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 66 2/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich aller von der Änderung betroffenen Anleihen sowie einer Mehrheit von mindestens 50 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich jeder einzelnen von der Änderung betroffenen Anleihe.
(5) Die Gläubiger können den Inhalt wesentlicher Beschlüsse und den für eine Mehrheit erforderlichen Nennwert der ausstehenden Schuldverschreibungen abweichend von den Absätzen 1, 3 und 4 festlegen; eine Beschlussfassung hierüber gilt als wesentlicher Beschluss.
(6) Die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind für alle Gläubiger derselben Anleihe und bei einer anleiheübergreifenden Änderung für alle Gläubiger der von der Änderung betroffenen Anleihen gleichermaßen verbindlich.
Wesentliche Beschlüsse, die eine anleiheübergreifende Änderung betreffen und bei denen die erforderlichen Mehrheiten nur hinsichtlich einiger der von der Änderung betroffenen Anleihen erreicht werden, sind für die Gläubiger dieser Anleihen verbindlich, wenn der Bund die Voraussetzungen, die hierfür gegeben sein müssen, vor einem von ihm bestimmten Termin (Stichtag), der höchstens fünf Geschäftstage vor der Gläubigerversammlung oder dem Beginn der schriftlichen Abstimmung liegen darf, bekannt macht und wenn diese Voraussetzungen auch tatsächlich vorliegen.
(7) Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger bedürfen stets der Zustimmung des Bundes.
(8) Der Bund hat die Beschlüsse der Gläubiger unverzüglich bekannt zu machen.

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§ 4c – Stimmrecht
(1) An Beschlussfassungen der Gläubiger nimmt jeder Gläubiger nach Maßgabe des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen teil, die er am Stichtag hält.
(2) Eine Schuldverschreibung gilt insbesondere dann als nicht ausstehend, wenn sie
1. der Bund hält oder
2. ein vom Bund beherrschter Rechtsträger hält und dieser Rechtsträger bei einer Beschlussfassung nicht frei abstimmen kann.
Ein Rechtsträger ist als vom Bund beherrscht anzusehen, wenn der Bund unmittelbar oder mittelbar berechtigt ist, der Geschäftsleitung des Rechtsträgers Weisungen zu erteilen oder wenn der Bund die Mehrheit der Mitglieder eines Aufsichtsrats oder vergleichbaren Aufsichtsorgans des Rechtsträgers wählen oder sonst berufen kann. Ein Gläubiger kann frei abstimmen, wenn er bei der Abstimmung
1. keinen Weisungen des Bundes unterliegt,
2. gemäß einem objektiven Sorgfaltsmaßstab im eigenen Interesse oder dem Interesse seiner Teilhaber handeln muss oder
3. aufgrund einer treuhänderischen oder ähnlichen Pflicht im Interesse einer Person handeln muss, die keine Schuldverschreibungen hält, die als nicht ausstehend anzusehen wären.
(3) Die Gläubiger können abweichend von Absatz 2 festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Schuldverschreibung als ausstehend gilt; eine Beschlussfassung hierüber gilt als wesentlicher Beschluss.
(4) Der Bund macht vor dem Stichtag eine Liste mit sämtlichen Gläubigern bekannt, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als vom Bund beherrschte Rechtsträger anzusehen sind und bei denen davon auszugehen ist, dass sie bei einer Beschlussfassung nicht frei abstimmen können.

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§ 4d – Berechnungsstelle; Bescheinigung
(1) Der Bund benennt eine zuständige Stelle, die feststellt, ob die für die Beschlussfassung der Gläubiger erforderlichen Mehrheiten erreicht sind (Berechnungsstelle).
(2) Der Bund übergibt der Berechnungsstelle vor einer Beschlussfassung der Gläubiger eine Bescheinigung, aus der ersichtlich sind
1. der Nennwert der am Stichtag ausstehenden Schuldverschreibungen,
2. der Nennwert der am Stichtag als nicht ausstehend im Sinne von § 4c Absatz 2 Satz 1 geltenden Schuldverschreibungen und
3. die Gläubiger der am Stichtag als nicht ausstehend im Sinne von § 4c Absatz 2 Satz 1 geltenden Schuldverschreibungen.
Der Bund macht die Bescheinigung so rechtzeitig vor einer Beschlussfassung der Gläubiger bekannt, dass ein angemessen verständiger und sachkundiger Gläubiger die Richtigkeit der Angaben bis zur Beschlussfassung prüfen kann.
(3) Die Angaben in der Bescheinigung nach Absatz 2 sind für alle Gläubiger und den Bund verbindlich, sofern nicht ein betroffener Gläubiger vor der Beschlussfassung der Gläubiger schriftlich und unter Mitteilung von Gründen der Richtigkeit der Angaben widerspricht und sofern nicht dieser Gläubiger einen Beschluss der Gläubiger, der auf einer unrichtigen Angabe beruht, binnen 15 Tagen nach Bekanntmachung des Beschlusses durch Klage nach Maßgabe des § 4i anficht.

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§ 4e – Einberufung der Gläubigerversammlung
(1) Eine Gläubigerversammlung kann jederzeit durch den Bund einberufen werden. Der Bund hat eine Gläubigerversammlung einzuberufen, sofern ein in den Emissionsbedingungen vorgesehener Fall der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung des Bundes eintritt und Gläubiger von mindestens 10 Prozent des Nennwerts der ausstehenden Schuldverschreibungen die Einberufung schriftlich verlangen. § 9 Absatz 2 und 4 des Schuldverschreibungsgesetzes ist entsprechend anzuwenden. Zuständig ist das Oberlandesgericht am Sitz der Deutschen Bundesbank. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist unanfechtbar.
(2) Die Gläubigerversammlung ist mindestens 21 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Eine vertagte Gläubigerversammlung ist mindestens 14 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen.
(3) In der Einberufung sind anzugeben
1. die Zeit und der Ort der Gläubigerversammlung,
2. die Tagesordnung, die Vorschläge zur Beschlussfassung und die Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit,
3. der Stichtag sowie die Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung abhängen,
4. die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um eine wirksame Vertretung zu gewährleisten,
5. die Voraussetzungen, von denen die Verbindlichkeit von Gläubigerbeschlüssen bei einer anleiheübergreifenden Änderung abhängt, bei der die erforderlichen Mehrheiten nur hinsichtlich einiger der von der Änderung betroffenen Anleihen erreicht werden, und
6. die Berechnungsstelle.
(4) Die Einberufung ist unverzüglich bekannt zu machen.

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§ 4f – Vorsitz; Beschlussfähigkeit
(1) Der Bund bestimmt den Vorsitzenden der Gläubigerversammlung. Sofern die vom Bund ernannte Person in der Versammlung nicht erscheint, können Gläubiger, die mehr als 50 Prozent des in der Versammlung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen halten, den Vorsitzenden der Gläubigerversammlung bestimmen.
(2) Die Gläubigerversammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 50 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.
Sollen wesentliche Beschlüsse gefasst werden, ist die Gläubigerversammlung beschlussfähig, wenn die Anwesendenmindestens 66 2/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.
(3) Der Vorsitzende kann eine Gläubigerversammlung vertagen, wenn sie innerhalb von 30 Minuten nach Sitzungsbeginn nicht beschlussfähig ist. Die vertagte Versammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 25 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Sollen wesentliche Beschlüsse gefasst werden, ist die vertagte Gläubigerversammlung beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 662/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.
(4) Die Gläubiger können den für die Beschlussfähigkeit erforderlichen Nennwert der ausstehenden Schuldverschreibungen abweichend von den Absätzen 2 und 3 festlegen; eine Beschlussfassung hierüber gilt als wesentlicher Beschluss.

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§ 4g – Vertretung
(1) Jeder Gläubiger kann sich in der Gläubigerversammlung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Erteilung der Vollmacht bedarf der Schriftform.
Die Bevollmächtigung ist dem Bund spätestens 48 Stunden vor dem Tag der Gläubigerversammlung nachzuweisen.
(2) Der Widerruf der Vollmacht ist nur wirksam, wenn er mindestens 48 Stunden vor dem Tag der Gläubigerversammlung gegenüber dem Bund erklärt wird. Gleiches gilt für eine Änderung der Vollmacht.

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§ 4h – Schriftliche Abstimmung
Auf die schriftliche Abstimmung sind die Vorschriften über die Einberufung und Durchführung von Gläubigerversammlungen entsprechend anzuwenden.

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§ 4i – Anfechtung von Beschlüssen
(1) Ein Beschluss der Gläubiger kann wegen Verletzung des Gesetzes oder der Emissionsbedingungen durch Klage angefochten werden.
(2) Die Klage ist binnen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses zu erheben; § 4d Absatz 3 bleibt unberührt. Sie ist gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten. Zuständig für die Klage ist das Oberlandesgericht am Sitz der Deutschen Bundesbank.
Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden. Im Übrigen sind § 20 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 des Schuldverschreibungsgesetzes sowie § 246 Absatz 3 Satz 4 bis 6 des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden.
(3) Vor einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts darf der angefochtene Beschluss nicht vollzogen werden, es sei denn, das nach Absatz 2 Satz 3 zuständige Gericht stellt auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des § 246a des Aktiengesetzes fest, dass die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht; § 246a Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2, 3 Satz 1 bis 4 und 6, Absatz 4 des Aktiengesetzes gilt entsprechend.

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§ 4f – Vorsitz; Beschlussfähigkeit
(1) Der Bund bestimmt den Vorsitzenden der Gläubigerversammlung.
Sofern die vom Bund ernannte Person in der Versammlung nicht erscheint, können Gläubiger, die mehr als 50 Prozent des in der Versammlung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen halten, den Vorsitzenden der Gläubigerversammlung bestimmen.
(2) Die Gläubigerversammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 50 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.
Sollen wesentliche Beschlüsse gefasst werden, ist die Gläubigerversammlung beschlussfähig, wenn die Anwesendenmindestens 66 2/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.
(3) Der Vorsitzende kann eine Gläubigerversammlung vertagen, wenn sie innerhalb von 30 Minuten nach Sitzungsbeginn nicht beschlussfähig ist. Die vertagte Versammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 25 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Sollen wesentliche Beschlüsse gefasst werden, ist die vertagte Gläubigerversammlung beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 662/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.
(4) Die Gläubiger können den für die Beschlussfähigkeit erforderlichen Nennwert der ausstehenden Schuldverschreibungen abweichend von den Absätzen 2 und 3 festlegen; eine Beschlussfassung hierüber gilt als wesentlicher Beschluss.

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§ 4g – Vertretung
(1) Jeder Gläubiger kann sich in der Gläubigerversammlung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Erteilung der Vollmacht bedarf der Schriftform.
Die Bevollmächtigung ist dem Bund spätestens 48 Stunden vor dem Tag der Gläubigerversammlung nachzuweisen.
(2) Der Widerruf der Vollmacht ist nur wirksam, wenn er mindestens 48 Stunden vor dem Tag der Gläubigerversammlung gegenüber dem Bund erklärt wird. Gleiches gilt für eine Änderung der Vollmacht.

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§ 4h – Schriftliche Abstimmung
Auf die schriftliche Abstimmung sind die Vorschriften über die Einberufung und Durchführung von Gläubigerversammlungen entsprechend anzuwenden.

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§ 4i – Anfechtung von Beschlüssen
(1) Ein Beschluss der Gläubiger kann wegen Verletzung des Gesetzes oder der Emissionsbedingungen durch Klage angefochten werden.
(2) Die Klage ist binnen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses zu erheben; § 4d Absatz 3 bleibt unberührt. Sie ist gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten. Zuständig für die Klage ist das Oberlandesgericht am Sitz der Deutschen Bundesbank.
Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden. Im Übrigen sind § 20 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 des Schuldverschreibungsgesetzes sowie § 246 Absatz 3 Satz 4 bis 6 des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden.
(3) Vor einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts darf der angefochtene Beschluss nicht vollzogen werden, es sei denn, das nach Absatz 2 Satz 3 zuständige Gericht stellt auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des § 246a des Aktiengesetzes fest, dass die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht; § 246a Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2, 3 Satz 1 bis 4 und 6, Absatz 4 des Aktiengesetzes gilt entsprechend.

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§ 4j – Wirksamkeit und Vollziehung von Beschlüssen
Beschlüsse der Gläubiger, durch welche der Inhalt der Emissionsbedingungen geändert oder ergänzt wird, werden erst wirksam, wenn sie vollzogen worden sind. Sie sind in der Weise zu vollziehen, dass die Emissionsbedingungen in ihrer geänderten oder ergänzten Fassung bekannt gemacht werden.

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§ 4k – Bekanntmachungen
Die Bekanntmachungen nach § 4b Absatz 6 Satz 2 und Absatz 8, § 4c Absatz 4, § 4d Absatz 2 Satz 2, § 4e Absatz 4 und § 4j erfolgen im Bundesanzeiger und im Internet unter der Adresse der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH – sowie durch die Deutsche Bundesbank.“
2. § 9 wird aufgehoben.

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Artikel 2 – Änderung des Schuldverschreibungsgesetzes
Das Schuldverschreibungsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2512), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 52 des Gesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3044) geändert
worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Dem § 1 Absatz 2 wird folgender Satz angefügt:
„Für nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen, deren Schuldner ein anderer Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets ist, gelten die besonderen Vorschriften der §§ 4a bis 4i und 4k des Bundesschuldenwesengesetzes entsprechend.“
2. § 20 Absatz 3 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 4 werden die Wörter „das nach Satz 3 zuständige Gericht“ durch die Wörter „ein Senat des dem nach Satz 3 zuständigen Gericht im zuständigen Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts“ und werden die Wörter „Absatz 1 Satz 1, Absatz 2, 3 Satz 2, 3 und 6“ durch die Wörter „Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2 und 3 Satz 1 bis 4 und 6“ ersetzt.
b) Die Sätze 5 und 6 werden gestrichen.

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Artikel 3 – Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

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Berlin, den 20. März 2012
Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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Begründung

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A. Allgemeiner Teil
I. Ziel des Gesetzesvorhabens
Nachdem im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 119, 305, 312) davon auszugehen ist, dass Emissionsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen und daher einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen können, sollen wesentliche Grundgedanken der auf europäischer Ebene vereinbarten Umschuldungsklauseln mit diesem Änderungsgesetz im Sinne eines Leitbildes verankert werden.
Dieses Leitbild orientiert sich eng an den zwischen den Staaten des Euro-Währungsgebiets in englischer Sprache ausgehandelten Musterbestimmungen.

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II. Wesentlicher Inhalt dieses Gesetzentwurfs

Da das Bundesschuldenwesengesetz die Aufgaben und Instrumente der Schuldenverwaltung regelt, wird dieses Gesetz um Regelungen ergänzt, die die Möglichkeit vorsehen, Umschuldungsklauseln in Emissionsbedingungen des Bundes zu verwenden. Wesentliche Inhalte der beabsichtigten Ergänzung der Emissionsbedingungen werden im Sinne eines Leitbilds verankert.

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1. Gesetzlicher Regelungsbedarf der wesentlichen Grundgedanken der Umschuldungsklauseln
a) Grundsätzliche Ausrichtung der Umschuldungsklauseln
Die zwischen den Staaten des Euro-Währungsgebietes ausgehandelten Musterbestimmungen für Umschuldungsklauseln stellen ein Kompendium von standardisierten Klauseln dar, die von allen Eurostaaten mit jeweils gleichartigem Inhalt zur Anwendung zu bringen sind. Sie verwenden harmonisierte Begriffe und Bedingungen und sind in ihrer Gesamtheit auf gleiche Marktbedingungen für alle Eurozonenstaaten ausgerichtet. Diese Gleichbehandlungskomponente soll negative Effekte aus andernfalls drohenden Wettbewerbsverzerrungen unter den einzelnen Mitgliedstaaten der Eurozone ausschließen. Die Frage, ob es Gründe geben könnte, Umschuldungsklauseln bei einem finanzstarken Emittenten anders auszugestalten als bei einem finanzschwachen Emittenten, stellte sich daher bei dem Zustandekommen dieser Musterklauseln nicht.
Generelle Zielrichtung der Klauseln ist es, die kollektive Repräsentation von Gläubigern im Fall eines drohenden Zahlungsausfalls in vielfacher Hinsicht sowohl inhaltlich zu erleichtern als auch formal zu beschleunigen. Dazu dienen Bestimmungen über Restrukturierungsverhandlungen zwischen der Gläubiger- und Schuldnerseite. Zum einen geht es um die Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern, zum anderen um diejenigen unter den einzelnen Gläubigern.
Diese lassen sich in drei Regelungskomplexe aufteilen:
Die Beschlussgegenstände von Gläubigerbeschlüssen, den Gang der Entscheidungen der Gläubiger und die Gewichtung der einzelnen Gläubiger. Die einzelnen Schritte der Beschlussfassung der Gläubiger werden geregelt – von der Einberufung einer Gläubigerversammlung bis hin zum Vollzug der Gläubigerbeschlüsse. Im Verlauf der eigentlichen Beschlussfindung über Restrukturierungsvorschläge kommt es sehr darauf an, durch eine zulässige qualifizierte Gläubigermehrheit mit Zustimmung des Schuldners die Änderung insbesondere der relevanten Anleihebedingungen wie Forderungshöhe, Fristen und sonstige Zahlungsmodalitäten durchsetzen.

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b) Anwendungsbeginn und Anwendungsbreite der Umschuldungsklauseln
In Artikel 12 Absatz 3 des am 2. Februar 2012 von allen Staaten der Eurozone unterzeichneten Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wird der Beginn der Einführung der Umschuldungsklauseln für neu emittierte Schuldverschreibungen auf den 1. Januar 2013 festgelegt. Hiervon ausgenommen sind Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit von bis zu zwölf Monaten. Nicht erfasst sind öffentlich garantierte Anleihen, syndizierte Darlehen und Emissionen von Gliedstaaten der Staaten des Euroraumes.

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2. Änderung des Schuldverschreibungsgesetzes
Der Gesetzentwurf enthält auch zwei Änderungen des Schuldverschreibungsgesetzes. Da die Musterbestimmungen für Umschuldungsklauseln auch für alle anderen Staaten der Eurozone maßgeblich sind, sollen die zur Umsetzung der Musterbestimmungen vorgesehenen Regelungen im Bundesschuldenwesengesetz für nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen dieser Staaten entsprechend anwendbar sein.
Ferner soll eine aus der Praxis angeregte Änderung des § 20 des Schuldverschreibungsgesetzes erfolgen; hierbei sollen die Regelungen für das Freigabeverfahren nach dem Schuldverschreibungsgesetz an die Regelungen im Aktiengesetz angepasst werden.

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III. Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Für die Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes (Artikel 1) steht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache zu. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Änderung des Schuldverschreibungsgesetzes (Artikel 2) folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 (das gerichtliche Verfahren) und Nummer 11 (Recht der Wirtschaft) des Grundgesetzes. Der Bund hat durch das Schuldverschreibungsgesetz bereits in der Vergangenheit von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht.
Eine bundeseinheitliche Regelung der Änderungen ist auch weiterhin im Sinne des Artikel 72 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 des Grundgesetzes erforderlich, um eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen für die Märkte zu vermeiden.

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Verwendung von Collective Action Clauses (CACs) bei der Restrukturierung von Staatsschulden im Euroraum.
Was steckt dahinter?
Dr. Annabella Kolling, R 0-13 – Deutsche Bundesbank