Geheimes Parallelrecht: Wie Großkonzerne politische Entscheidungen attackieren

Deutschland will raus aus der Atomkraft – eine politische Entscheidung. Damit wollen sich die betroffenen Stromkonzerne aber nicht abfinden.
Doch während RWE und EON nur der Gang zum Bundesverfassungsgericht bleibt, wendet sich der schwedische Konzern Vattenfall ganz einfach an ein Schiedsgericht, das geheim in einem Hinterzimmer tagt.
Es geht um die Forderung von nicht weniger als 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz, die am Ende die Steuerzahler zahlen müssten.
Vat­ten­fall beruft sich dabei auf die Rege­lun­gen des sog. Energiecharta-Vertrages (ECT), wel­chen Deutsch­land und eine Viel­zahl ande­rer Staa­ten im Jahr 1994 unter­zeich­net haben. Das Abkom­men soll Inves­ti­tio­nen aus­län­di­scher Unter­neh­men vor unrecht­mä­ßi­gen Ein­grif­fen durch den Gast­staat schüt­zen. Beru­fen kön­nen sich hier­auf nur aus­län­di­sche Unter­neh­men wie die in schwe­di­schem Staats­be­sitz befind­li­che Vat­ten­fall. 

Weltweit gibt es mehr als 3.000 solcher Verträge (2782 bilaterale Investmentverträge – 282 andere internationale Investment-Verträge) zwischen Staaten.
Eigentlich sollen sie Investoren vor Enteignungen schützen — doch wann immer einem Unternehmen ein Gesetz nicht passt, kann es diese Abkommen nutzen, um Schadensersatz geltend zu machen. Gegen Umweltschutz, gegen Gesundheitspolitik, gegen Wirtschaftsreformen, u.v.m.
Die Verfahren sind meist geheim, die Öffentlichkeit erfährt höchstens das Ergebnis – und Revisionsmöglichkeiten gibt es nicht.
Mit Milliardenklagen setzen Konzerne so ganze Staaten unter Druck.
Eine Gefahr für die Demokratie – und ein Riesengeschäft für eine überschaubare Zahl von Anwaltskanzleien!

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frei zugängliche Sammlung von Urteilen in Investitionsschutzverfahren

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Anmerkung

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Vermutlich werden wir zeitnah feststellen, dass solche Investitionsschutzabkommen für unsere Freunde aus der kreativen Finanzindustrie zu einem gefundenes Fressen werden könnten.
Schließlich ließen sich anstehende Klagen der Konzerne gegen Staaten insgeheim via asset backed-Junkbonds monetarisieren, ein glänzendes Geschäft für Emissionshäuser, Hedge Fonds und je nach Kurs und Aufgeld natürlich auch für (institutionelle) Anleger.

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Ihr Oeconomicus

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follow-up, 11.07.2014

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In seiner Zusammenfassung über die geplanten Fracking-Aktivitäten beschreibt Albrecht Kieser im Deutschlandfunk die Nahtstellen zwischen TTIP und Investitions-Schutzabkommen und nennt dabei auch die wesentlichen Akteure.
Kiesers Erkenntnis:

„Die Investor-Staat-Klage ist ein zentraler Bestandteil in allen Freihandelsverträgen, die Deutschland bislang mit über 100 Ländern abgeschlossen hat; darunter zum Beispiel Pakistan oder Ecuador. Auch das TTIP zwischen der EU und den USA soll dieses Instrument enthalten. Unternehmen könnten es einsetzen, wenn sie einen Staat verklagen wollen, der mit einem neuen Gesetz bisher gültige Produktionsbedingungen reguliert. Zum Beispiel durch die Auflage, geringere Emissionswerte auszustoßen oder das Verbot, schädliche Chemikalien einzusetzen.“

In dem Beitrag wird u.a. auch mit Prof. Markus Krajewski, ein Experte für Völkerrecht zitiert, der sich intensiv mit dieser Art von Verträgen befasst, qualifiziert die Investor-Staat-Klage so:

„Ich halte das schlichtweg für rechtsstaatlich nicht haltbar. Das ist aus meiner Sicht mindestens ein Rechtspolitischer, wenn man es genauer durchdenkt, möglicherweise auch ein verfassungsrechtlicher Skandal. Wir haben es damit zu tun, dass ein vom Deutschen Bundestag beschlossenes Gesetz von einem internationalen Schiedsgericht überprüft werden sollte, was möglicherweise zu Schadenersatzforderungen und auch -zahlungen der Bundesrepublik Deutschland führt. Und die Parlamentarier, die das Gesetz selber gemacht haben, die haben nicht mal die Möglichkeit mitzubekommen, was hier eigentlich gemacht wird.“

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Archivbeiträge zu TTIP