Schwankender Westen ? – Alfred Schier im Dialog mit Prof. Udo Di Fabio – (04.10.2015)
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Zwölf Jahre war Udo Di Fabio Richter am Karlsruher Bundesverfassungsgericht. In dieser Zeit hat er die rechtliche Verfassung der Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt. Im Dialog mit Alfred Schier spricht Di Fabio über identitätsstiftende Werte und Fundamente der deutschen Gesellschaft, die Finanzkrise im Euroraum und über Herausforderungen und Chancen durch die Flüchtlingsströme.
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In der Öffentlichkeit profilierte sich Di Fabio als politisch engagierter Publizist. Rund zehn Jahre nach seinem vielbeachteten Erstling „Die Kultur der Freiheit“ präsentierte er kürzlich sein neues Werk „Schwankender Westen“. Darin analysiert er die Grundlagen der westlichen Gesellschaft und welche Auswirkung Krisen, aber auch Bedrohungen, wie zum Beispiel der „IS“, auf sie haben.
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Auszug:
[Hervorhebungen und Querverweise by Oeconomicus]
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Min. 0.35 Schier: „Professor di Fabio, soeben erschienen, Ihr neuestes Buch „Schwankender Westen“. Warum wankt, warum schwankt unsere westliche Gesellschaft ?“
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Di Fabio: „Unsere westliche Gesellschaft ist seit der Weltfinanzkrise etwas aus dem Tritt gekommen. 1990, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hat man noch erwartet, dass der Westen jetzt die dominante Wirtschaftsform wird, ohne Konkurrenten. Heute sehen wir, dass an der Peripherie Europas Staaten zerfallen, dass die amerikanische Gesellschaft nach neuer Stärke ruft und sich selbst im Krisenmodus zu befinden scheint. Ja, und wir mit der Flüchtlingsfrage, aber auch mit der Europäischen Integration inzwischen erhebliche Probleme vor uns sehen.“
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Min. 1.24 Schier: „Diese Flüchtlingsfrage würde ich gerne als Erstes besprechen. Hunderttausende, vielleicht sogar eine Million Menschen kommen dieses Jahr nach Deutschland. Das ist doch zunächst einmal ein Anzeichen dafür, wie attraktiv unser Land, unsere Gesellschaft ist. Also ich würde sagen, „strahlender Westen“ und nicht „wankender Westen“.“
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Di Fabio: „Ja, wankend nenne ich den Westen noch nicht, sondern schwankend. Schwanken kann man beispielweise, wenn man einen Entschluss treffen will. Ich werbe für dieses Gesellschaftsmodell und ich bin auch der Überzeugung, dass der Westen stark und attraktiv ist. Nur, wer stark ist, der vergißt manchmal, seine eigenen Grundlagen genügend zu pflegen, das geht uns privat allen so, und das geht den Gesellschaften, den Nationen, den politischen Gemeinschaften auch so. Im Westen müssen wir darüber nachdenken, wie wir unsere Stärke eigentlich behalten können. Dass der Westen attraktiv ist, das sehe ich genau so, das ist ein Grund dafür, dass die Menschen in den Westen drängen. Manche drängen aber auch in den Westen, weil sie ihre Staatlichkeit, ihr Friedensordnung verloren haben, und da sollten wir kritisch hinschauen, warum so etwas geschieht.“
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Min. 2.45 Schier: „Schauen wir mal diese Flüchtlingskrise etwas genauer an. Sehen Sie in dieser Flüchtlingskrise auch Elemente, die unsere Gesellschaft, unsere Werte, unsere Kultur bedrohen könnten ?“
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Di Fabio: „Jede Krise hat immer zwei Möglichkeiten. Die Krise kann Erneuerung sein, kann Bereicherung sein, sie kann aber auch, wenn sie nicht gemeistert wird, wenn die falschen Entscheidungen getroffen werden, kann sie auch ins Negative rutschen. Insofern ist die Rede von der Flüchtlingskrise bei den Zahlen über die wir reden und die Bewegungen die wir beobachten, wie ich glaube, keine falsche Terminologie, aber Chance und Risiko.“
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Min. 3.31 Schier: „Angela Merkel hat gesagt, das Asylrecht kennt keine Obergrenze. Ist das absolut so, oder gibt es am Ende doch eine Begrenzung durch die Aufnahmefähigkeit unseres Staates ?“
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Di Fabio: „Das Asylrecht des Grundgesetzes ist ein subjektives Recht und enthält in der Tat keine Quantitäten, insofern hat die Kanzlerin meines Erachtens nur die Rechtslage wiedergegeben. Aber, was wir heute erleben, ist ja kein Ansturm von Asylberechtigten. Man kann -streng genommen- auf dem Landweg gar nicht als Asylberechtigter nach Deutschland kommen, weil Artikel 16a des Grundgesetzes die Einreise aus sicheren Drittstaaten nicht zum Asyl rechnet. So gesehen erleben wir keinen Ansturm von Asylberechtigten, denn die Menschen, die auf dem Landwege kommen, sie sind Flüchtlinge, sie sind Einwanderer, Einwanderungswillige, aber die allerwenigsten davon haben den subjektiven Anspruch auf Asyl, den unser Grundgesetz verspricht.“
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Min. 4.37 Schier: „Ich würde da gern man nachfragen. Also zunächst mal ist unser Asylrecht unbegrenzt, also zigmillionen Flüchtlinge auf der Welt könnten hier einen Asylantrag stellen, vielleicht sogar hunderte Millionen, wenn die aus Diktaturen, Bürgerkriegsländern kommen. Welchen Sinn macht so ein Asylrecht, das potentiell einer Milliarde Menschen die Rettung in Deutschland verspricht, auf der anderen Seite, weil das ja offensichtlich nicht handbar ist, machen wir alles, damit diese Menschen nicht nach Deutschland kommen können und der einzige Ausweg, der dann bleibt, ist die Flucht über’s Mittelmeer mit 3000 Toten.“
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Di Fabio: „Der Punkt ist der, wer auf dem Landweg nach Deutschland kommt, muss ja aus einem anderen, bereits sicheren Land kommen. Er muss aus Österreich kommen, er muss aus Polen kommen, er muss aus Ungarn kommen und das bedeutet, dass er in Deutschland keinen Asylanspruch hat.„
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Min. 5.35 Schier: „Das ist doch graue Theorie! Eine Million Menschen kommen, da können Sie doch so häufig wie Sie wollen sagen, er hätte theoretische keinen Anspruch. Faktisch sind die Menschen da und wir können sie nicht wegschicken.“
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Di Fabio: „Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Anspruch ist nicht gegeben, wenn man über Österreich ins Land kommt, weil man aus Österreich kommt. Es gibt kein Recht, sich das Land in dem man sich flüchten will, auszusuchen, es gibt kein subjektives Recht darauf. Wir haben uns völkerrechtlich verpflichtet, Menschen die in Not sind aufzunehmen, die aus Bürgerkriegsgebieten kommen, aus humanitären Gründen. Diese Aufnahme ist zahlenmäßig begrenzt. Unser Asylrecht trifft in den meisten Fällen über die wir heute reden gar nicht zu. Das muss man im Auge behalten, denn wer aus sicheren Drittstaaten kommt, ich wiederhole es nochmal, der hat kein Asylrecht als subjektives, einklagbares Grundrecht.“
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Min.6.30 Schier: „Also hätte die Kanzlerin am Ende doch nicht recht, weil die Menschen, die zu uns kommen, die können wir sehr wohl begrenzen, das ist unser Recht zu sagen, wir nehmen nur fünfhundertausend auf und dann ist Schluss ? Das ist durchaus vereinbar mit unserem Grundgesetz ?“
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Di Fabio: „Im Europäischen System ist eigentlich vorgesehen, dass Asylverfahren an der Außengrenze stattfinden, also in den Ländern, in denen die Asylsuchenden zuerst ankommen. Dort soll bereits geprüft werden, ob ein Anspruch besteht und wenn er nicht besteht, dann müssen sie die Europäische Union wieder verlassen. Wenn er besteht, dann bleiben sie prinzipiell in diesem Land und dann muss man sich über eine gerechte Verteilung unterhalten. So ist das in der Tat heute das theoretische System. Was wir erleben ist, dass die Menschen durchgeleitet werden, wir sprechen heute von Flüchtlingskorridoren durch Europa nach Deutschland hin. Das heißt aber nur, dass die Prüfung, die ansonsten in Griechenland, in Italien oder in Ungarn hätte stattfinden sollen, jetzt in Deutschland stattfindet. Deshalb reden wir über Asylverfahren und über die Geschwindigkeit, in denen sie stattfinden sollen.“
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Min. 7.46 Schier: „Wenn ich Sie richtig verstehe, haben wir es doch mit einem völligen Zusammenbruvh des Europäischen Rechts zu tun. Eigentlich dürften die Flüchtlinge gar nicht auf diese Art und Weise zu uns kommen, aber dieses Recht findet keine Anwendung in der Praxis.“
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Di Fabio: „Ja, das ist im Ergebnis so, nur würde ich hier da kein Menetekel für die Europäische Integration sehen. Das Europäische Integrationsprojekt ist kein großes, bundesstaatliches Projekt, das am Reißbrett entworfen wurde und in einer „begeisterten verfassungsgebenden Versammlung“ verabschiedet wurde, sondern das Europäische Projekt ist ein immer wieder lernendes Projekt, das ich über Krisen fortentwickelt, eigentlich vom ersten Tag an. Was wir heute erleben ist, dass das Schengen-System und die Dublin-Verordnung, dass die sich offensichtlich im Praxistest nicht bewähren und reformiert werden müssen. Das weiß jeder Politiker und da werden wir Europäische Lösungen finden müssen. Zur Zeit sind sie noch nicht hinreichend sichtbar.“
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Min. 8.55 Schier: „Das Schengen-Abkommen sagt, wir verzichten auf Grenzkontrollen innerhalb der EU, weil diese Kontrollen an den Außengrenzen stattfinden. Wenn jetzt aber diese Kontrolle an den Außengrenzen zusammenbricht, wie zum Beispiel in Griechenland bei der Grenze zur Türkei, heißt das dann im Ergebnis, dass man Schengen aussetzen, aufkündigen muss, weil ansonsten der Kollaps am Ende steht ?“
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Di Fabio: „Das Schengen-System sieht vor, dass befristet Grenzkontrollen durchgeführt werden können, gerade dann, wenn die Kontrolle an der Außengrenze versagt. Dazu hat sich ja Deutschland auch entschieden, das geht, das ist noch kein aufkündigen, sondern das ist ein Verhalten innerhalb des Schengen-Systems. Aber, so etwas ist befristet, es kann keine Dauerlösung sein und wir werden in Deutschland vermutlich nicht anfangen, unsere Grenze ernsthaft zu befestigen, wie wir das an der Außengrenze der Union, wenn wir an Spanien an Ungarn denken, erleben. Aber, wir brauchen eine Lösung. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, entweder wir verstärken die Außenkontrolle, also Frontex zu einer richtigen Grenzpolizei ausweiten, mit oder ohne Unterstützung der Grenzstaaten, oder aber, wir führen die Binnenkontrollen wieder dauerhaft ein und das wäre dann das Scheitern des Schengen-Systems.“
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Min. 10.24 Schier: „Wenn ich Sie richtig verstehe, hat der Staat, hat Deutschland durchaus das Recht, die Zuwanderung zu begrenzen und das naheliegendste um die Zuwanderung zu begrenzen, ist ja der Schutz der Grenzen, entweder der Binnengrenzen oder der Außengrenzen. Wie muss man vor diesem Hintergrund dann beurteilen, was Viktor Orban da in Ungarn macht ? Ist das mit Europäischem Recht vereinbar, mit Stacheldraht die Außengrenzen zu sichern ?“
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Di Fabio: „Die Sicherung der Außengrenze ist im Blick auf Ungarn vielleicht nicht das so gravierende Problem, denn die Sicherung der Außengrenze ist den Ungarn, die eine solche Außengrenze unterhalten, zur Pflicht gemacht. Die Frage ist, wie man’s macht, ob man eine Grenze human und effektiv sichert, oder ob man die Grenzsicherung und die Unterbringung gegen -im Vergleich zu Europäischen Mindeststandards- dann so macht, dass jeder der als Flüchtling, als Einwanderungswilliger kommt, möglichst schnell weiterreist, ein ‚race to the bottom‘, der in manchen Mitgliedstaaten ausgebrochen ist. Man macht es unbequem, damit Menschen weiterreisen. Das ist natürlich europarechtswidrig.„