Die Lügen-Spirale: Warum Krisen stets wiederkehren und uns immer “überraschen”


 Die Lügen-Spirale: Warum Krisen stets wiederkehren und uns immer “überraschen”
by Markus Gaertner

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Warum werden die BIP-Zahlen ständig deutlich nachgebessert?
Warum ist die Inflation auf unseren Kassenzetteln höher als das, was die Notenbanker uns weißmachen wollen?
Und warum räumen deutsche Statistiker mit eineinhalbjähriger Verspätung ein, dass die Republik Ende 2012, Anfang 2013 doch in einer Rezession war?

Weil Ökonomen bekloppt sind und nicht wissen, welche Zahlen sie da eigentlich auf ihren Taschenrechnern jonglieren?

Mir war diese Antwort immer zu einfach. Vielleicht weil ich selbst zu dieser Spezies gehöre. Ich bin nicht gerne Mitglied in einem bekloppten Dilettanten-Verein. Vielleicht ist es auch nur fortschreitende Korruption unserer Zunft, denke ich mir manches Mal.

Warum nicht, wenn die Finanz-Mafia sowieso alle Bereiche unserer Gesellschaften vereinnahmt und beherrscht. Allein die Notenbanken in den USA und Europa beschäftigen Tausende von Ökonomen, von den Banken ganz zu schweigen.

Vielleicht gibt es mehr Ökonomen als katholische Beichtstühle oder Zigarettenautomaten. Und wenn der Anteil der Notenbanken an deren Beschäftigung so hoch ist, dann kann auf diese Zunft mit der Macht der Jobvergabe großer Einfluss ausgeübt werden. Wenn die bestbezahlten Arbeitsplätze auf der anderen Seite lauern, werden eben manche weich und lassen sich massieren.

Auch das schien mir aber als Erklärung zu einfach. Bis gestern Abend.

Da fiel mir eine Studie von Luigi Zingales und Robert Mc Cormack von der Booth School of Business an der University of Chicago in die Hände. Allein der Titel spricht Bände, denn er klingt wie ein Pamphlet: “Die Vereinnahmung der Ökonomen verhindern”, heißt das lesenswerte, wirklich witzige und schroff ehrliche Papier. Es geht, um es ganz simpel zu sagen, um die Ökonomie der Ökonomen-Meinungen.

Um die Antwort von Zingales und Mc Cormack vorweg zu nehmen: Ja, Ökonomen sind auch keine besseren Menschen als Totengräber, Aktuare, oder Tankstellenpächter. Sie sind käuflich. Und je näher ihre Jobs am großen Strom des Geldes angesiedelt sind, desto beweglicher scheinen ihre Gedanken und Analysen. Völlig normale Typen halt.

Damit ich nicht lange das Papier wiedergeben muss, hier der Link zum Blog des Harvard Business Review, wo das zusammengefasst wird.

Wenn man sich diese Zeilen zu Gemüte geführt hat, wird deutlich, warum in der wirtschaftlichen Analyse angeblich immer alles so “überraschend” ist. Es war überraschend, dass Apple das neue Smartphone ohne diesen oder jenen Knopf brachte, dass Japans Wirtschaft im zweiten Quartal so drastisch einknickte, oder dass die Euro-Krise doch noch nicht vorbei ist.

Ganz klar, je systematischer man vorher wegschaut, desto größer sieht das Gespenst, das nicht verschwinden will, irgendwann einmal aus, wenn man doch genauer hinschaut, oder die Rechnung auf den Tisch kommt und die Zahlen schwarz auf weiß belegen, welche horrende Wirklichkeit zuvor wegmanipuliert oder in den Zahlenwerken wegmassiert wurde.

In der Politik beobachten wir das ganz genauso.

So kommt es, dass plötzlich alle überrascht sind, dass die Schotten DOCH unabhängig werden wollen, oder dass Frankreich DOCH den Bach runtergeht, dass in Deutschland DOCH nur die Fassaden glitzern während das Fundament bröckelt, oder dass die Fed im kommenden Jahr doch nicht an der Zinsschraube drehen wird. Ein 10jähriger hätte das besser vorhergesehen als viele Star-Analysten der Wall Street, weil denen die Seite des Gehirns amputiert wurde, die für Wahrhaftigkeit zuständig ist.

Mit der selben Logik sitzen jetzt viele vor den Ifo-Kurven und staunen Bauklötze darüber, wie die schöne, sichere, solide Bundesrepublik in so kurzer Zeit wirtschaftlich solche Risse bekommen konnte. Oder, warum der Euro am Ende DOCH mit einem galaktischen Knall auseinander fliegen wird.

Das schlimmste an diesen Lügengebilden, die alle irgendwann implodieren, ist aber nicht die Lüge selbst. Die ist ja meist durchschaubar und leicht zu entlarven. Das wirklich Schlimme ist, dass wir die Lügen trotzdem meist willig schlucken oder nicht widersprechen, weil sie eine angenehme, anästhesierende Erklärung für unsere Beobachtungen (und Befürchtungen) liefern.

Doch je länger dieses Spiel gespielt wird, desto teurer und schmerzhafter wird das späte Erwachen. – Die Ökonomen halten das dann brav als überraschendes Ereignis in den Geschichtsbüchern fest und setzen über Jahrzehnte hinweg hunderte von Doktoranden daran, die steile Kehrtwende der Ereignisse, die nie hätte eintreten sollen, doch noch befriedigend zu erklären.

Und weil alle 80 Jahre die Zeitzeugen der jeweils letzten Katastrophe aussterben, geht dann alles wieder von vorne los. Die Instrumente im Koffer der Ökonomen – und aller anderen Berufe – mögen dann neu oder gar verbessert sein. Der Lügen-Mechanismus bleibt immer gleich.

Und genau deshalb gibt es kein kollektives Lernen. Nur dieses zyklisch wiederholte Leiden und Bluten.

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Erstveröffentlichung + Kommentare @Gaertner’s Blog

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Lieber Markus,

allerbesten Dank für diesen pointierten Bericht, der so manchen Leser zu intensiverem Nachdenken anregen mag.

Luigi Zingales hat sich hinsichtlich einiger Fragmente Deiner hier skizzierten Überlegungen auf eine spannende Spurensuche begeben und seine diesbezüglichen Erkenntnisse kritisch und facettenreich in seinem Buch ‚A Capitalism for the People: Recapturing the Lost Genius of American Prosperity‘ verarbeitet (s. Leseprobe).

All the best.

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Ihr Oeconomicus


5 Kommentare on “Die Lügen-Spirale: Warum Krisen stets wiederkehren und uns immer “überraschen””

  1. almabu sagt:

    Pierre Moscovici, ehemals Monsieur Nullprozentwachstum und 4,3% Haushaltsdefizit in Frankreich, wird zum neuen Wirtschaftskommissar der EU.

    Sind da Konflikte, gar Krisen mit Schäuble und Merkel nicht programmiert?

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    • Oeconomicus sagt:

      Grundsätzlich darf bei allem, was von dem lieben Monsieur Moscovici ausgeht nichts ausgeschlossen werden.

      Dazu empfiehlt sich eine etwas intensive Recherche zu dessen Karriereleiter.

      An der Stelle nur mal soviel:

      Als in den 1990er Jahren unser lieber Spezi Dominique Strauss-Kahn vorübergehend von der politischen Bildfläche verschwand, wurde er von der hochgeschätzten Condoleezza Rice als Stanford University-Professor eingestellt.

      Dem Vernehmen nach arbeiteten ihm während dieser Zeit zwei illustre ‚Hilfskräfte‘ tatkräftig zu. Die Rede ist von Jean-Chrisophe Cambadélis und Pierre Moscovici.

      Beide waren u.a. höchst emsig mit der Finanzierung der Sozialistischen Partei, und der Stiftung Jean-Jaurès durch das National Endowment for Democracy (NED) (einem CIA-Aushängeschild), der Friedrich-Ebert-Stiftung, et.al beschäftigt.

      Selbstverständlich befähigen solche Meriten speziell den lieben Pierre Moscovici ganz im Sinne der ihm anvertrauten Lämmer mit dem nötigen Fingerspitzengefühl als neuer Stern am EU-Wirtschaftshimmel einen bravourösen Job abzuliefern.

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      • almabu sagt:

        Ja, es ist schon immer wieder verblüffend wie ein USA-Aufenthalt, von sagen wir mal „eher durchschnittlichen Talenten“, deren weitere Karrieren beflügeln kann! Seien es nur TV-Sprecher (Roth), Grünen- (Özdemir) oder CSU-Politiker (vGuttenberg), Tatort-Kommissare (Till Schweiger), Wirtschaftskapitäne (Middelhoff) oder was weiss ich?

        Apropos NED: Die finanzieren seit Jahren die „Russische Soldatenmütter gegen Putin“ mit mindestens 120.000 US-Dollar pro Jahr. Das müssen die ja in Russland inzwischen angeben und sich als Agenten einer ausländischen Regierung registrieren lassen. Das hat Putin einem älteren, aber gültigen, US-Gesetz abgeguckt.

        Witzigerweise haben die USA nun nach der russischen Adaption „ihres Gesetzes“ verkündet, dies in den USA künftig auch auszuweiten 😉

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      • Oeconomicus sagt:

        Jetzt raten Sie mal, wer Pussy Riot aufbaute und unterstützte und mit wessen Hilfe sich die freundliche Organisation ‚Reporter ohne Grenzen‘ finanziert ??
        https://oconomicus.wordpress.com/category/usa/department-of-state-aussenministerium/national-endowment-for-democracy-ned-nationale-stiftung-fur-demokratie/

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  2. cashca sagt:

    Die Lügenspirale, das ist echt bald ein Meisterwerk der Lügenkunst.
    Wer dauernd lügt, der merkt es gar ncht mehr.
    Politiker und die Medien, das sind diejenigen, die am meisten lügen, sie haben das 8.Gebot vergessen.
    Man kann die Floskeln wie…

    Es kam überraschend….
    es kam anders als gedacht, schlechter als gedacht, besser als gedacht….
    damit haben wir nicht gerechnet…
    das konnten wir nicht ahnen..nicht wissen.. nicht vorhersehen……
    wir haben uns geirrt…
    Wir dachten, wenn, dann … u.s.w.

    Wann haben die jemals richtig gedacht?
    Wann haben die sich nicht geirrt?
    Überall liegen sie voll daneben..

    Fazit:
    Nichts mehr glauben, egal was sie sagen, auf seine eigenen Beobachtungen vertrauen, eigene Prognosen stellen, auf das eigene Gefühl achten, was logischerweise sein kann, oder kommt.

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