vom Freihandels-Jubel der Verzückten und inkonsistenten Moll-Tönen by Karel de Gucht
Veröffentlicht: 5. Februar 2014 Abgelegt unter: TTIP / TAFTA | Tags: BDI, Benedicte Federspiel, Bertelsmann-Stiftung, Dr. Beate Merk, Ilse Aigner, Karel De Gucht, Pascal Kerneis, Prof. Jagdish Bhagwati, Ulrich Eckelmann Hinterlasse einen KommentarWährend die ‚Verzückten‘ der TAFTA-Freihandels-Konsultationen zwischen EU und USA nicht müde werden, die Vorzüge eines solchen Abkommens anzupreisen, erscheint unter Bezug auf Benjamin Franklin’s Erkenntnis “Well done is better than well said” eine gewisse Skepsis durchaus angebracht.
Mit einer umfangreichen Makro-Analyse 1 versucht nun die ‚arbeitnehmer-freundliche‘ Bertelsmann-Stiftung den Nachweis zu führen, dass nahezu alle Branchen in allen Bundesländern vom Abschluß des Freihandels-Abkommens profitieren und sich die zu erwartenden Lohnzuwächse über alle Einkommensgruppen verteilen würden!
Selbstredend hat sich auch der BDI 2 eindeutig zum TAFTA-Abkommen positioniert, postuliert Wachstum und Arbeitsplätze und erfreut sich an einer Studie im Auftrag der EU-Kommission 3, nach deren Schätzungen EU und USA jeweils mit rund € 100 Mrd. Wirtschaftswachstum pro Jahr rechnen können.
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EU-Kommission und Bundesregierung jubilieren mit vollmundigen Versprechungen. Demnach soll das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA hunderttausende Arbeitsplätze schaffen und Europa aus der Wirtschaftskrise helfen.
Allerdings:
Die beeindruckenden Wachstums-Zahlen beruhen auf völlig unrealistischen Szenarien, wie etwa dem Beitritt der USA zur Europäischen Union. Kritiker sprechen von einer beispiellosen Werbekampagne, um die wachsende Sorge vor Demokratieverlust und dem Abbau von Verbraucherrechten zu überdecken. Genau darauf deutet auch ein geheimes Strategiepapier der EU hin, das MONITOR vorliegt.
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Die Stimmen verzückter Träumer
und der Kontrapunkt von Prof. Jagdish Bhagwati (Columbia University), einem der renommiertesten Handelsökonomen der Welt:
„Diese Studien sind alle hochproblematisch, denn bei der Frage, welche Annahmen sie zugrunde legen, kommt man schon in die Nähe von reinen Meinungsäußerungen. Viele Leute mit Erfahrung werden Ihnen sagen, mit Studien bekommen Sie das Problem nicht in den Griff.“
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Monitor-Interview mit mit EU-Handelskommissar Karel De Gucht in der Langfassung
Videoclip – [24:11 Min]
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Bei manchen mit wichtigem Gesichtsausdruck formulierten Antworten von Herrn de Gucht könnte ein etwas peinlicher Eindruck entstehen (!)
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Erhebt sich vor all diesem Hintergrund nicht auch die Frage, ob und in welchem Umfang man die Einschätzungen der Bayrischen Landesregierung (vgl. Schreiben vom 31.1.2014 an die Präsidentin des Bayrischen Landtages von Ilse Aigner/Dr. Beate Merk 4) zu bewerten hat?
Neben zahlreichen Bewertungen und Schlussfolgerungen erscheint der Hinweis auf die Einrichtung eines 14-köpfigen Beratergremiums der EU-Kommission aus Verbraucher- und Wirtschaftverbänden besonders bemerkenswert (s. Anlage 3)
In diesem Zusammenhang sei auf eine Veröffentlichung der Wiener Zeitung vom 04.02.2014 hingewiesen aus welcher die nachfolgenden Zitate entnommen sind:
Benedicte Federspiel:
„..dass sich durch die Expertengruppe irgendetwas an Transparenz oder der Wahrnehmung der Wünschen der Zivilgesellschaft ändern wird, daran hegt man sogar innerhalb des Teams Zweifel.“
Ulrich Eckelmann:
„Ich glaube, die Gruppe wird nicht viel zu sagen haben … Es ist überhaupt relativ nebulös, zu welchen Themen wir denn Ratschläge erteilen sollen … Die Rahmenbedingungen sollen relativ restriktiv sein. Wir werden wohl nur das erfahren, was auch öffentlich diskutiert wird und keinen Zugang zu Dokumenten bekommen. Die Kommission wird uns somit nur Informationen aus zweiter Hand zukommen lassen.“
Pascal Kerneis:
„Die Kommission hat ganz klar gesagt, dass die Amerikaner nicht wollen, dass ihre Dokumente verbreitet werden. Das betrifft auch das EU-Parlament, die Mitgliedsstaaten und die Experten. Die einzigen Dokumente, zu denen wir – vertraulichen – Zugang bekommen, werden lediglich die der Kommission und der EU sein, aber nicht jene der USA.“
Nach Einschätzungen von Pascal Kerneis trauen die USA dem europäischen System nicht:
„Wenn eine Verhandlungsposition öffentlich wird, hat man automatisch eine viel geringere Manövrierfähigkeit. Sie trauen dem europäischen System nicht, weil die Kommission, sobald sie ein Dokument erhält, dieses an die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament weiterleitet. Das ist dann eine Stunde später im Internet. In den USA ist das unvorstellbar. Auch auf amerikanischer Seite gibt es Expertengruppen wie jene, die die Kommission jetzt ins Leben gerufen hat. Nur mit viel strengeren Auflagen:
Die Mitglieder müssen auf die Bibel schwören, und wenn sie ein vertrauliches Dokument weitergeben, werden sie nicht nur auf Lebzeit von der Liste der Lobbyisten in Washington gestrichen, sie werden auch strafrechtlich verfolgt.“
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Ihr Oeconomicus
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1 Studie der Bertelsmann-Stiftung
2 BDI-Positionen zum Freihandelsabkommen
3 Studie des Centre for Economic Policy Research, London
4 2014_01_31 Ilse Aigner Bericht StReg
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korrespondierende Archiv-Beiträge
TTIP/TAFTA: US-Senator Harry Reid’s ‚No!‘ zu einem „Fast-Track“-Gesetz
Veröffentlicht: 5. Februar 2014 Abgelegt unter: Buch-Tipps & Literatur-Empfehlungen, TTIP / TAFTA, UNITED STATES OF AMERICA | Tags: BDI, Bertelsmann-Stiftung, Fast Track Procedure, Harry Reid, Karel De Gucht, Michael Froman, nicht-tarifäre Handelshemmnisse, Repräsentantenhaus, right-to-work-law, Senat, TTIP, WTO Ein KommentarHarry Reid, 74, ist Senator des US-Bundesstaates Nevada, und als Mehrheitsführer der Demokraten im Senat einer der wichtigsten Verbündeten von Barack Obama.
Wie jetzt bekannt wurde hat Reid nun etwas überraschend Obama’s „Heiligenschein“ deaktiviert und angekündigt, er sei nicht bereit, ein „Fast-Track“-Gesetz zu unterstützen, das es dem Präsidenten erlauben würde, internationale Handelsverträge beschleunigt durch den Kongress zu bringen.
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In ihrem Werk „Die Außenpolitik der USA: Theorie – Prozess – Politikfelder – Regionen„ liefern die Herausgeber Simon Koschut und Magnus-Sebastian Kutz Hintergrund-Informationen zum „fast-track-Mandat„ [ab Seite 173 – Hervorhebungen/Verlinkung durch mich]:
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Auf dem Gebiet der Außenpolitik ist der Präsident verfassungsrechtlich mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet:
„Er hat das Recht auf Anraten und mit Zustimmung des Senats Verträge zu schließen, vorausgesetzt, dass 2/3 der anwesenden Senatoren zustimmen“
(vgl. Artikel 2, Absatz 2 der Verfassung 1)
Die Ausgestaltung des Außenhandels obliegt nach Artikel 1, Abschnitt 8 der Verfassung 1 jedoch eindeutig dem Kongress:
„Der Kongress hat das Recht: Steuern, Zölle, Abgaben und Akzisen aufzuerlegen und einzuziehen (und) den Handel mit fremden Ländern, zwischen den Einzelstaaten und mit den Indianerstämmen zu regeln.“
Der Präsident ist somit zwar befugt, auch ohne die Ermächtigung des Kongresses mit anderen Staaten Handelsverträge zu verhandeln. Allerdings müssen internationale Handelsabkommen im Gegensatz zu anderen internationalen Verträgen beide Kammern des Kongresses durchlaufen.
Die Kompetenzaufteilung zwischen Exekutive und Legislative spiegelt den fiskalischen Ursprung der US-amerikanischen Handelspolitik wider:
Die Gründungsväter der USA legten die Außenhandelspolitik in die Hände des Kongresses, da Zolleinnahmen die Haupteinnahmequelle der jungen Republik darstellten. Der fiskalpolitische Ursprung der Handelspolitik erklärt auch, warum heute die Finanzausschüsse im Repräsentantenhaus und im Senat (das House Committee on Ways and Means bzw. das Senate Committee on Finance) maßgeblich für dieses Politikfeld zuständig sind.
Der Kongress wirkt in dreifacher Weise an der Gestaltung der Handelspolitik mit:
Er berät und beschließt die Gesetze, kann seine Bedenken in Handelsangelegenheiten durch die Mittelvergabe an die wichtigsten Handelsbehörden zum Ausdruck bringen und die Verhandlungsmacht der Exekutive empfindlich einschränken, in dem er ihr das Handelsmandat verweigert. Die Administration wiederum bestimmt nach Beratungen mit einer Vielzahl von Gremien die handelspolitische Agenda und führt die internationalen Verhandlungen durch. Verhandlungsführer ist der mit Kabinetts- und Botschafterrang ausgestattete US-amerikanische Handelsbeauftragte (Trade Representative, USTR). Er fungiert als Vermittler zwischen den innenpolitischen Interessen und den Interessen ausländischer Regierungen sowie als Koordinierungsstelle zwischen den an der Handelspolitik beteiligten Institutionen innerhalb und außerhalb der Exekutive.
Bis in die 1930er Jahre nahm der Kongress seine verfassungsrechtliche Kompetenz in der Handelspolitik größtenteils unabhängig von der Exekutive wahr. Erst mit dem 1934 verabschiedeten Reciprocal Trade Agreements Act (RTAA) gestattete der Kongress dem Präsidenten, für eine festgelegte Dauer (durchschnittlich drei Jahre) in bilaterale Verhandlungen auf der Basis der Reziprozität (Gegenseitigkeit) Zölle in bestimmten Margen zu senken. Die vom Präsidenten ausgehandelten Exekutivabkommen wurden automatisch per Proklamation zum Gesetz. Motiviert war der RTAA durch den Smoot Hawley Tariff Act aus dem Jahr 1930, durch den die durchschnittliche Zollbelastung in den USA auf rund 50 Prozent angestiegen war. Dieser trug maßgeblich zur Schwere und internationalen Verbreitung der Großen Depression bei. Dieses Gesetz hatte den Kongress noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt:
Um angesichts der vielschichtigen Interessenlagen im Repräsentantenhaus Mehrheiten zu finden, müssen sich Abgeordnete auf politische Kuhhandelpraktiken einlassen und Stimmen untereinander bündeln (log-rolling). Dies gilt im besonderen Maße für Zollinitiativen, da über Zölle auf produktspezifischer Basis (Produkt für Produkt) abgestimmt wurde. Die Abgeordneten stimmten also gegenseitig für ihre Initiativen. Das Ergebnis war eine Spirale von Protektionismus, die ihren Höhepunkt im Smoot Hawley Tariff Act fand.
1974 wurde der RTAA durch das Fast Track Procedure abgelöst. Auch beim fast track-Mandat übertrug der Kongress Teile seiner konstitutionellen Handelskompetenz an den Präsidenten. Anders als beim RTAA bezog sich das fast track-Mandat aber nicht nur auf den Abbau von Zöllen, sondern auch auf nicht-tarifäre Handelshemmnisse (NTBs) -Standards und Regulierungen, die den Handel beschränken-, die zunehmend auf die Agenda der internationalen Verhandlungen gerückt waren.
Eingeschränkt wurde die neue Verhandlungsvollmacht dadurch, dass von der Exekutive ausgehandelte Abkommen nun vom Kongress (mit einfacher Mehrheit) ratifiziert werden mussten. Diese Modifikation war notwendig geworden, weil Handelspolitik immer tiefer in die Binnenregulierungen notwendig machte. Gleichwohl verpflichtete sich der Kongress, die Abkommen beschleunigt zu bearbeiten. Zusätze oder Modifizierungen waren nicht möglich; Repräsentantenhaus und Senat konnten das Abkommen nur komplett annehmen oder ablehnen.
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Senator Reid’s Vorstoss ist sehr ernst zu nehmen, im politischen Geschäft gilt er als ‚tough guy‘, der exzellent vernetzt und es gewohnt ist, für seine Überzeugungen zu kämpfen.
Einer seiner Gegenspieler, der US-Handelsdelegierte und TTIP-Verhandler Michael Froman unterstrich in der Financial Times seine Position:
„..man könne garantieren, dass es seitens des Kongresses volle Rückendeckung für das Abkommen geben würde. Das, obwohl es auch in den USA kritische Töne im Zusammenhang mit Freihandelsabkommen mit Europa und auch Asien gibt..“
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Man mag davon ausgehen, dass Harry Reid im Gegensatz zu dem US-Handelsdelegierten den zunehmenden Druck der Strasse spürt. Seit mehr als 20 Jahren hat man den US-Arbeitern erzählt, dass neue Handelsabkommen für mehr Export und neue Arbeitsplätze sorgen würden. Zwischenzeitlich wird zunehmend erkannt, dass es sich dabei um graue Theorie handelte, die bislang in der Praxis nicht eingetroffen ist.
Wer auf die politischen Sprechblasen der Clinton-Administration im Vorfeld der NAFTA 2-Verhandlungen mit Kanada und Mexico (1992/1993) zurückblickt, wird sich an Versprechungen, wie steigende Handelsbilanzüberschüsse, Lösung der wirtschaftlichen Probleme in Mexico, neue gut bezahlte amerikanische Arbeitsplätze, drastische Reduzierung illegaler Einwanderung, etc. erinnern.
All diese NAFTA-Seifenblasen sind geplatzt:
- Amerika verzeichnete seither einen Nettoverlust von 700,000 Arbeitsplätze
- der einstige US-Handelsbilanzüberschuss mit Mexico mutierte zu einen chronischen Defizit
- die illegale Einwanderung nahm deutlich zu
In der Folge führte das nach dem Fast Track Procedure abgeschlossene Abkommen in den USA zu
- massivem Lohndumping
- Mißbrauch von Arbeitsmigranten
- partieller Zerschlagung von Gewerkschaften (vgl. „Right-to-work-Law“)
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weitere schmerzhafte US-Lektionen
durch Handelsabkommen zur Intensivierung der Globalisierungs-Effekte
Seit dem Übereinkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 1994, welches ebenfalls nach dem fast-track-Verfahren vom Kongress ratifiziert wurde, sind in der Folge des Beitritts von China (2001) in USA etwa 2,7 Mio Arbeitsplätze verloren gegangen, weitere 40,000 US-Jobs wurden durch das Handelsabkommen mit Korea vernichtet.
In all diesen Fällen waren die ultimativen Profiteure solcher Handelsverträge … na, wer?
… richtig, multinational operierende Konzerne und Giganten der Finanzbranche!
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Ihr Oeconomicus
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1 Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika
2 Literatur-Verzeichnis des German Institute of Global and Aerea Studies (GIGA)
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korrespondierende Archiv-Beiträge
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follow-up, 14.02.2014
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Joe Biden bestätigt Sen. Reid’s ‚No!‘ zu einem Fast-Track-Procedere
„Vice President Joe Biden acknowledged that Congress will not grant President Obama fast-track trade promotion authority, which analysts say is critical to the president’s hopes to forge huge trade deals with Asia and Europe. Mr. Biden’s comments called into question the central pillars of the White House’s trade agenda, most immediately the Trans-Pacific Partnership, a regional trade pact involving 12 nations, which is the most visible element of Mr. Obama’s strategic shift toward Asia.“
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Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich hinter Biden’s Haltung im Hinblick auf den ‚2016 run‘ eine ganz andere Motivlage verbirgt.