Tricksereien bei der Jobvermittlung


Knapp 2,9 Millionen Arbeitslose gibt es momentan in Deutschland. So zumindest lauten die offiziellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Denn tatsächlich sind 3,8 Millionen Menschen ohne Arbeit. Rund eine Million Arbeitslose verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik, weil sie an einer sogenannten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilnehmen – und somit nicht als arbeitslos gezählt werden. Manchen Arbeitslosen bringen die Maßnahmen wenig.

Der studierte Biologe Peter (54) ist seit vier Jahren arbeitslos. Zuletzt hat er als Grafiker gearbeitet. Dann übernimmt er mehrere Jahre die Pflege eines kranken Familienmitglieds. Um in seinem Job als Grafiker wieder Fuß zu fassen, braucht er spezielle Computerkurse. Doch die lehnt die Jobcenter-Mitarbeiterin immer wieder ab, auch aus Kostengründen.

Stattdessen muss Peter an einer Maßnahme für Arbeitslose über 50 Jahre teilnehmen: Ein Jahr lang muss er verschiedene Kurse belegen: gesunde Ernährung, Arbeiten mit Excel, Bewerbungen schreiben und den 6.000-Schritte-Kurs. In diesem Kurs müssen die Teilnehmer täglich drei Runde um die Hamburger Binnenalster spazieren. Wer das geschafft hat darf für den Tag nach Hause gehen. Für Peter verschenkte Zeit: Er hat nichts Neues gelernt und auch keinen neuen Job bekommen.

„Wir haben das Beschäftigungstherapie genannt. Es macht Freude, um die Alster zu gehen. Aber der Kurs hilft ja nicht, zurück ins Arbeitsleben zu kommen“

sagt Peter.
Kosten der Maßnahme: rund 6.000 Euro. Bezahlt vom Steuerzahler.

Mario Klockgether (44) aus Oldenburg ist gelernter Einzelhandelskaufmann. Jahrelang hat er in seinem Beruf gearbeitet, Computer und Technik verkauft. Jetzt ist er arbeitslos und wird vom Jobcenter betreut. Seine Arbeitsvermittlerin hat ihn in eine Qualifizierungsmaßnahme gesteckt. Ein Jahr lang muss er in einem Sozialkaufhaus arbeiten. Das soll ihn auf die Ausbildung zum Verkäufer vorbereiten. Für den 44-Jährigen ist das völlig absurd. Das sagt er auch seiner Vermittlerin. Doch die bringt wenig Verständnis für seine Argumente auf. Der 44-Jährige fühlt sich nicht ernst genommen, schreibt einen Brief an sein Jobcenter und bittet um eine neue Arbeitsvermittlerin. Ohne Erfolg. Nicht einmal eine Antwort bekommt er.

So hilflos wie Mario Klockgether fühlen sich viele Arbeitslose. Wenn sie nicht an den verordneten Maßnahmen teilnehmen, drohen Sanktionen. Immer wieder wird Arbeitslosen Geld gestrichen, weil sie angeblich ihre Pflichten nicht erfüllen. In einer Plusminus vorliegenden internen Mail werden Jobcenter-Mitarbeiter sogar dazu aufgefordert, strikt zu sanktionieren, weil die Sanktionsquote in einer Abteilung stark abgesackt war.

Die Sanktionen kritisiert auch Inge Hannemann, Ex-Jobcenter-Mitarbeiterin aus Hamburg. Sie wurde inzwischen suspendiert, weil sie den Umgang mit Arbeitslosen öffentlich kritisiert:

„Was mich geärgert hat, war der Druck, den wir aufbauen mussten gegenüber den Erwerbslosen. Wir haben eine enorme Machtstellung und können die ausnutzen.“

Inge Hannemann spricht auch von Zielvorgaben und Zielvereinbarungen in den Jobcentern und den Agenturen für Arbeit.
Das heißt:
Es gibt Vorgaben, wie viele Arbeitslose vermittelt werden müssen – egal ob in Arbeit oder in Maßnahmen. Werden die Zielvorgaben erreicht, gibt es Leistungsprämien für Führungskräfte. Deshalb werden Arbeitslose oft in Maßnahmen geparkt. Die Statistik wird dadurch schöner.

Auch dieses Jahr sind für Maßnahmen und Förderungen knapp vier Milliarden Euro vorgesehen.

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Arbeitsvermittlerin prangert Hartz-IV-System an

Inge Hannemann (45) aus Hamburg wurde als „Hartz IV“–Rebellin bekannt, weil sie als Arbeitsvermittlerin eines Job-Centers das „System Hartz IV“ als menschenunwürdig anprangert. So wehrte sie sich dagegen, auf Leistungsempfänger nur durch schnelle Sanktionen Druck auszuüben. Inge Hannemann wurde deshalb von ihrem Dienst freigestellt. Sie kämpft vor Gericht darum, ihre Tätigkeit wieder ausüben zu dürfen und nahm das Angebot einer Abfindung nicht an. Sie sei nicht käuflich, betont sie. Inge Hannemann möchte sich weiter für Menschen wie Heike Domhardt (63) aus Arnstadt einsetzen. Die Thüringerin hat keine Chance, einen Job zu erhalten, bezieht Hartz IV und engagiert sich ehrenamtlich für einen ambulanten Hospizdienst. Sie wurde von ihrem Jobcenter beinahe erpresserisch aufgefordert, den entsprechenden Antrag zu stellen und vorzeitig in Rente zu gehen. Sie würde damit lebenslang Einbußen zur Regelaltersrente hinnehmen müssen und klagt dagegen vor Gericht.

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Die Vermittler – Doku über ARGE Terror

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zur Vertiefung

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korrespondierende Archiv-Beiträge

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.. und dann noch dies:

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Wenn der Supermarkt Hartz-IV-Gutscheine ablehnt
In Notlagen oder bei Sanktionen bekommen Hartz-IV-Bezieher Gutscheine statt Bargeld. Wo die eingelöst werden können, ist aber nicht einheitlich geregelt. Das bekam jetzt eine junge Mutter zu spüren.
[…]
Die Welt

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One Comment on “Tricksereien bei der Jobvermittlung”

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