Zulässigkeit von Umschuldungsklauseln bei ausländischen Staatsanleihen

Bundesministerium der Finanzen
Berlin, 14. Februar 2000

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Erklärung der Bundesregierung
zur Zulässigkeit von Umschuldungsklauseln
bei ausländischen Staatsanleihen, die deutschem Recht unterliegen

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1. Um die Funktionsweise des internationalen Finanzsystems zu verbessern, setzen sich der IWF sowie die Siebenergruppe und die Zehnergruppe gemeinsam nachdrücklich dafür ein, die Emissionsbedingungen von Staatsanleihen aus Schwellenländern so zu gestalten, dass sie im Bedarfsfall auch eine Umschuldung durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist verschiedentlich die Auffassung vertreten worden, deutsches Recht erlaube keine derartigen Klauseln in Anleihen ausländischer Emittenten. Die Bundesregierung, in Abstimmung mit der Deutschen Bundesbank, vertritt demgegenüber die Auffassung, dass das deutsche Recht der Verwendung von Umschuldungsklauseln in Anleihen ausländischer Emittenten nicht entgegensteht.

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2. Das deutsche Recht sieht mit dem Schuldverschreibungsgesetz vom 4. Dezember 1899 gesetzlich die Möglichkeit vor, Emissionsbedingungen unter bestimmten Voraussetzungen durch bindende Mehrheitsbeschlüsse zu ändern. Das Schuldverschreibungsgesetz enthält organisatorische Regelungen über die Einberufung einer Gläubigerversammlung und die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters sowie inhaltliche Vorgaben über Mehrheitsbeschlüsse. Die Gläubigerversammlung kann hiernach zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder des Insolvenzverfahrens und zur Wahrung der gemeinsamen Gläubigerinteressen mit einer Dreiviertelmehrheit die temporäre Aufgabe oder Beschränkung von Gläubigerrechten beschließen, insbesondere eine Zinsermäßigung oder eine Stundung des Schuldendienstes. Auf Kapitalansprüche kann allerdings nicht verzichtet werden; ein solcher Verzicht ist nur in einem ordentlichen Insolvenzverfahren möglich. Die Anwendung des Schuldverschreibungsgesetzes ist auf inländische private Schuldner beschränkt (gilt insoweit aber sowohl für DM- bzw. Euro-Anleihen als auch für Fremdwährungsanleihen). Das Schuldverschreibungsgesetz gilt aufgrund seiner Bestimmung, eine Insolvenz des Schuldners zu verhindern, nicht für öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften, da diese nicht insolvenzfähig sind.

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3. Da das Schuldverschreibungsgesetz auf Anleihen ausländischer Emittenten nicht anwendbar ist, gilt für nach deutschem Recht begebene Anleihen ausländischer Schuldner der allgemeine Grundsatz der Vertragsfreiheit. Er gilt in gleicher Weise für die von Personen des Privatrechts begebenen Anleihen wie für ausländische Staatsanleihen. Da der Inhalt von Schuldverschreibungen gesetzlich kaum vorgeschrieben ist, sind die Vertragsparteien bei deren Ausgestaltung durch die Emissionsbedingungen grundsätzlich frei und können somit auch Umschuldungsklauseln vereinbaren.

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4. Wie in wohl allen Rechtsordnungen gilt aber auch in Deutschland der Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht uneingeschränkt. Maßstab für die gerichtliche Beurteilung von Emissionsbedingungen ist das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) vom 9. Dezember 1976. Danach ist eine Klausel unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Da Anleihen ausländischer Emittenten, die deutschem Recht unterliegen, bisher wegen der vermeintlichen rechtlichen Zweifel in der Regel nicht mit Umschuldungsklauseln ausgestattet waren, liegen keine Gerichtsurteile dazu vor, ob derartige Klauseln unter Umständen eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des AGB-Gesetzes mit sich bringen können. In der juristischen Literatur ist jedoch anerkannt, dass das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung ausgeschlossen sein dürfte, wenn sich Umschuldungsklauseln am Leitbild des Schuldverschreibungsgesetzes orientieren. Eine solche Orientierung würde folgende Regelungen voraussetzen:

  •  Die Gläubigerversammlung wird durch den Schuldner einberufen. Sie ist einzuberufen, wenn ein Gläubiger-Quorum von 20 Prozent oder ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger dies verlangen. Die Einberufung hat durch mindestens zweimalige Bekanntmachung zu erfolgen. Zwischen der letzten Bekanntmachung und dem Tag der Versammlung müssen mindestens zwei Wochen liegen.
  •  Für Beschlüsse, durch welche Rechte der Gläubiger beschränkt oder aufgegeben werden, ist eine Mehrheit von mindestens 75 Prozent erforderlich.
  •  Die Mehrheit wird nach den Beträgen der Schuldverschreibungen berechnet. Es muss mindestens die Hälfte des Nennwerts der im Umlauf befindlichen Schuldverschreibungen erreicht werden. Der Schuldner ist für die in seinem Besitz befindlichen Schuldverschreibungen nicht stimmberechtigt.
  •  Mehrheitsbeschlüsse sind bindend für alle Gläubiger, sofern sie zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Gläubiger gefasst wurden (Verhinderung von Beschlüssen, die für einzelne Gläubiger nachteilig sind).
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5. Was den Inhalt von Mehrheitsbeschlüssen betrifft, sind bei nach deutschem Recht begebenen Anleihen ausländischer Emittenten Klauseln ohne weiteres zulässig, die die gleichen Beschlüsse ermöglichen, die bei Anleihen inländischer privater Emittenten bereits das Schuldverschreibungsgesetz erlaubt, ohne dass es hierfür einer vertraglichen Regelung bedarf. Dies gilt also für Klauseln, die Mehrheitsbeschlüsse über eine temporäre Zinsermäßigung oder Stundung des Schuldendienstes zulassen. Über das Schuldverschreibungsgesetz hinaus erscheinen bei Anleihen ausländischer Emittenten zur Wahrung der Interessen der Gläubiger aber auch Klauseln zulässig, die durch Mehrheitsbeschluss einen teilweisen Kapitalverzicht ermöglichen. Bei Inlandsanleihen soll über einen Forderungsverzicht nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers nur in einem geordneten inländischen Insolvenzverfahren entschieden werden. Da ausländische Schuldner jedoch nicht dem deutschen Insolvenzrecht unterliegen, besteht kein Anlass, die Vertragsfreiheit mit Rücksicht auf das Interesse an einem geordneten inländischen Insolvenzverfahren einzuschränken. Es kann der Wahrung der gemeinsamen Interessen der Gläubiger dienen, dass sie sich bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit im Rahmen einer umfassenden Krisenlösung durch Mehrheitsbeschluss an einer Umschuldung und gegebenenfalls auch an einem teilweisen Forderungsverzicht beteiligen.

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6. Unter der Voraussetzung, dass die Umschuldung der Wahrung der gemeinsamen Interessen der Gläubiger dient, bestehen daher aus Sicht der Bundesregierung keine rechtlichen Bedenken gegen die Aufnahme von Umschuldungsklauseln in nach deutschem Recht begebenen Anleihen ausländischer Emittenten.

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Quelle: Deutsche Bundesbank